Istima
Istima
Vorbemerkungen
Der geneigten Leserschaft präsentiert die SÜDWIND- Redaktion im folgenden: „Umm Nungmour oder die Nacht des dritten Abstiegs“ . Schriftlich fixiert der Text eine der Autorin Donna Morisca ( Donna Morisca de Addoquia- Tintinnario (née Zeforika) : Ehefrau des königlichen Leibmedicus Don Alcazar de Addoquia- Tintinnario )mündlich unterbreitete Erzählung. Spannende Lektüre können wir garantieren - nicht hingegen, daß der Inhalt objektiv überprüfbarer Realität entspricht. Diesbezüglich räumt die Verfasserin selbst Zweifel ein... nicht ohne Grund: Keineswegs in geordnet- chronologischer Weise erfolgte nämlich die zur Niederschrift Anlaß gebende Unterhaltung (s. u.) , sondern eher fragmentarisch und assoziativ... und wurde vom Genuß mehrerer Krüglein Caïmarinha (alkoholische Spezialität des Donario Mysobfurten (Lehen des Don Alcazar) ) begleitet.
Die Erzählung örtlich und zeitlich einzuordnen, fällt in der Tat schwer. Was die beschriebene Beschwörungszeremonie betrifft, so entbehrt sie – auch für den Laien leicht festzustellen - jeglicher Ähnlichkeit mit bekannten Ritualen der Waldmenschen: So findet die gemeinhin als unverzichtbar geltende Knochenkeule nicht einmal beiläufig Erwähnung... was man damit erklären mag, daß es sich beim Beschwörer - wiederholt als blaßhäutig charakterisiert und auf mohisch als Kunene Tapam- Wah ( (mohisch) nene: blaßgelb, weißlich- gelb; Kunene Tapam- Wah: „starker Weißer, den die Geister schützen“ ) bezeichnet - offenkundig mitnichten um einen Eingeborenen handelt ( Die Experten spekulieren, es könnte sich um den im Dschungel verschollenen Magier Zachan al Mahdi aus Khunchom handeln ).
Nur eine Merkwürdigkeit unter vielen. Der aufmerksame Leser kommt nicht umhin, sich eine ganze Reihe weiterer Fragen zu stellen, beispielsweise: Warum ist überhaupt ein weißer Magier als Moha- Schamane tätig? Was führt er im Schilde? Strebt er die Machtübernahme im Stamme an? Um wen handelt es sich bei den im Schatten verbleibenden Auftraggebern? Ist die beschriebene Beschwörung als Zeremonie des linken Weges zu verstehen? Woher wissen die am Ende auftauchenden Krieger, daß sie einschreiten müssen? Wieso gestatten sie eigentlich überhaupt das düstere Ritual und nehmen in Kauf, daß die Heldin (immerhin die Tochter des Anführers!) in Lebensgefahr gerät?
Angesichts der Ungereimtheiten, an denen es der Geschichte wahrlich nicht mangelt, stellt die SÜDWIND- Redaktion pflichtgemäß die Frage nach der Authenzität. Hierauf vom Autor der vorliegenden Rezension angesprochen, erinnerte Donna Morisca an den Begriff der dichterischen Freiheit, welche es erlaube, „jenseits dedektivischer Erwägungen die dem Geschehen ansich innewohnende poetische Wahrheit zu entbergen“ .
Hinzu fügte die Donna, daß der Bericht zwar sehr wohl ihrer Feder, jedoch weder ihrer Erinnerung noch ihrem Gehirn entsprungen sei... und verwies uns an die eigentliche Erzählerin: die medica Istima Tonko ( Seelenheilkundlerin; Assistentin des königlichen Leibmedicus Don Alcazar )... die sich indes (wenn irgend möglich) noch weniger kooperativ zeigte als die Autorin und – bei all dem beträchtlichen Charme, den die Moha aufzubieten fraglos in der Lage ist! - mit der ihr eigenen Hartnäckigkeit jeglichen sachdienlichen Kommentar verweigerte. Dabei erführe man allzugern, ob denn nun die charismatische Heldin – wie das die Geschichte ja zu suggerieren versucht - mit der gleichnamigen, in Brabak wohnhaften (und nicht weniger charismatischen) Erzählerin als identisch zu betrachten ist. Bedauerlicherweise gestatten diesbezüglich die Ergebnisse der SÜDWIND- Recherchen keine zwingende Beweisführung (weder im negativen noch im positiven Sinne) . Dennoch erlauben wir uns, den Leser in aller Bescheidenheit auf einige der von uns zutage geförderten Erkenntnisse hinzuweisen:
So geht aus den Eintragungen des von uns konsultierten brabakisch- königlichen Registers klipp und klar hervor, daß die junge medica dem Kopfjäger- Volk der Tschopukikuha entstammt. Die Erzählung hingegen spielt – das bestätigen sämtliche Experten in seltener Einmütigkeit – vor einem anderweitigen ethnischen und kulturellen Hintergrund . Wenn die Erzählerin sich auch, wie erwähnt, im Gespräch strikt weigerte, zu dem ihr zugeschriebenen Bericht Stellung zu beziehen, so gab sie sich in anderer Hinsicht weit weniger zugeknöpft, brachten doch knapp bemessene Kleidungsstücke manch reizvollen Einblick nachhaltig zur Geltung - Entschädigung für mangelnde Mitteilungsbereitschaft gewissermaßen... aber nicht nur: Der RAHja- gefällige Augenschmaus erwies sich nämlich zusätzlich als aufschlußreich in streng hesindianischem Sinne... offenbarte doch keine der beiden sehenswerten Schultern eine Brandmarke: Eine solche Brandmarke aber tragen - dem Text zufolge - all diejenigen Novizen und Novizinnen, die den dritten Abstieg in den Tabu Gorongo antreten... konsequenterweise auch die als Istima Tonko bezeichnete Heldin.
Hier an dieser Stelle die Geheimnisse der schönen brabaker medica breitzutreten, entspricht indes nicht dem galanten Selbstverständnis des Rezensenten, der daher die Aufmerksamkeit des Lesers nunmehr auf den arkanen Aspekt zu lenken gedenkt: Magischen Motiven mißt ja die Erzählung eine durchaus zentrale, indes keineswegs selbsterklärende Rolle bei. Den diesbezüglichen Hintergrund näher zu beleuchten, bemühte sich in unserem Auftrag ein die „Dunkle Halle der Geister“ vertretendes Expertengremium, welches in der Tat mit recht bemerkenswerten Einsichten aufwartete. Diese voreilig offenzulegen, verbietet sich jedoch aus dramaturgischen Gesichtspunkten. Der „dunklen Halle“ Interpretationen wurden daher - der jeweiligen Textstelle eng benachbart - als erläuternde Fußnote eingefügt. Derselben Annotationsform vertrauen wir die Ausführungen unserer Ethnologin Allechanda Umabollo an.
Die berechtigten Interessen des Lesers vertretend, hat die SÜDWIND- Redaktion weder Zeit, Aufwand noch Geldbeutel geschont im Versuch, der Erzählung beunruhigende Geheimnisse dem erhellenden Licht der Erkenntnis auszusetzen. Allen Bemühungen zum Trotz bleiben aber zahlreiche Fragen unbeantwortet - und so lange sich keine Augenzeugen zu Wort melden (was kaum zu erwarten ist) , wird dies auch so bleiben. Unsere Entscheidung, den Text dennoch der Öffentlichkeit zu unterbreiten, folgt sinngemäß dem (oben verbatim zitierten) Argument der Autorin: Irrespektive des objektiv nachprüfbaren Wahrheitsgehaltes sowie allein um des belletristischen Unterhaltungswertes willen offerieren wir nicht ohne Stolz unserer geschätzten Leserschaft die Erstpublikation des rezenten Werkes einer der bekanntesten Literatinnen Brabaks, der vielgerühmten Donna Morisca: „Umm- Nungmour oder die Nacht des dritten Abstiegs“ .
Onorio di Bal- Sacco
(Feuilleton- Chefredakteur, SÜDWIND)
1 Im Schatten des Tabu Gorongo
Die Nacht des dritten Abstiegs...
Dem Ruf des blaßhäutigen Kunene Tapam- Wah folgend, sind die für würdig befundenen Novizen schweren Herzens angetreten, sich erst mit den schroff aufragenden Hänge des übel beleumundeten Tabu Gorongo (mohisch: wohl in etwa „verbotener Zauberberg“ ; im Regengebirge vermutet, exakte Lokalisation unbekannt ) zu messen und dann in dieser finsteren Neumondnacht zum dritten Male den Abstieg in die Tiefe zu wagen.
Der erste der drei Abstiege - anläßlich des Antritts des Noviziats - hat die Auserwählten viel Mut gekostet: Zur Erleichterung der Kandidaten ist es jedoch in jener Nacht damals zu keinem Zwischenfall gekommen - lediglich ein Besuch zum Kennenlernen der Höhle. Und im übrigen eigentlich gar keine Höhle, vielmehr eine von unbekannter Hand in den Berg gehauene Felsenhalle ( Die Beschreibung läßt an ein von den Angroschim geschaffenes Bauwerk denken. Ein solches ist im tiefen Süden allerdings bislang nicht bekannt geworden. ) , in die man über eine Vielzahl von tief in SUMUS Schoß führende Stufen gelangt: Den unvorbereitet Eintretenden - beispielsweise just denjenigen, der den ersten Abstieg wagt - überrascht die hohe Decke des Gewölbes. Als nächstes fällt der Blick auf eine eingansfern gelegene, bühnenartig gestaltete Plattform – gedacht offenkundig als Brennpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit... und wie in einem liebfeldischen Freiluft- Theater umgeben von gestaffelten Zuschauerrängen, welche, im Drittelkreis angeordnet, zur besagter Bühne hin steil abfallen.
Nicht das eigentliche Noviziat folgt, wie man meinen könnte, auf besagte Nacht, sondern die Zeit der Vorbereitung auf selbiges: die Initiation. Keine Rede von Unterweisung irgendeiner Art, ausschließlich abhärtende Maßnahmen und Übungen zur Selbstbeherrschung sind vorgesehen... diese dafür in umso größerer Zahl und Vielfalt – und allesamt zum wenigsten ekelerregend und abstoßend, in der Regel jedoch sowohl in seelischer wie körperlicher Hinsicht hart an die Grenze des Zumutbaren heranreichend.
Die besonderen Regeln, denen sich der Initiat unterwirft, schreiben Zucht, Ordnung und ein sittsames Erscheinungsbild vor. Von der Stammesöffentlichkeit - in der der Anblick leicht bekleideter Frauen und Männer keine Ausnahme darstellt - werden die Auszubildenden sorgfältig abgesondert. Verpönt ist der Anblick nackter Leiber. Unverhüllte Gliedmaßen gelten als anstößig. Tag und Nacht trägt der keusche Novize einen langärmeligen Umhang, dessen Saum die Erde streift. Lediglich Hände und Köpfe bleiben frei – nicht jedoch das Haar, welches ein Tuch verdeckt. Letzteres ist ebenso wie der Umhang in schlichtem Weiß gehalten. Lebhafte Farben verführen nämlich (so der mit der Ausbildung der Jungen und Mädchen beauftragte Kunene Tapam- Wah) wenig gefestigte Gemüter zu unziemlichen Gedanken.
Wenn er auch auf der bildungsbosporanischen Anrede „magister“ besteht, so gibt sich dieser Kunene Tapam- Wah doch weniger als weiser Schamane denn grobschlächtig und mitleidslos wie ein Khor- gläubiger Söldner: Wer Anordnungen nicht befolgt, wer Widerworte wagt, wer es an Aufmerksamkeit fehlen läßt oder auch nur einfach eine schlechte Tagesform erwischt hat und die geforderte Leistung nicht erbringt, der schließt unweigerlich auf schmerzhafte Weise Bekanntschaft mit einem lehrmeisterlichen Werkzeug, das stets griffbereit liegt: Das brabaker Rohr.
Da die mit selbigem durchgeführte Korrektion im Unterricht des Kunene Tapam- Wah eine gängige Währung darstellt, versuchen kluge Novizen, sich den rauen Gegebenheiten anzupassen und die Hiebe nicht als entehrende oder außergewöhnliche Strafe zu sehen, sondern als Laune des Schicksals gelassen hinzunehmen - wie etwa den Durchzug einer Elefantenherde oder die Zerstörungen, die ein Heuschreckenschwarm hinterläßt: Bedauerlich, schmerzhaft, aber nicht zu vermeiden. Im übrigen: Glücklich schätzen darf sich derjenige, der lediglich einer Korrektion mit dem brabaker Rohr unterzogen wird. Manch einer gibt – von endlosen Foltern körperlich gebrochen und seelisch zermürbt – freiwillig auf... und muß sein Leben lang den Makel des Schwächlings tragen: Ein entehrendes Zeichen, das zum Abschied mitten auf die Stirn gebrannt wird.
Wer sich aber gar im Angesicht des magister als Versager entpuppt, der wird ohne viel Federlesens von jetzt auf nachher aus dem Kreis der Erwählten ausgeschlossen, muß dem Stammesverband lebewohl sagen und den einsamen Weg in die Verbannung antreten.... Zuvor allerdings ist der ehemalige Novize – oder die ehemalige Novizin - mittels arkanen, auf die Seele des Betroffenen zielenden Wirkens grausam bestraft, ja: verstümmelt worden: Was rahjanische Betätigung anbelangt, so hat der Schamane den jungen, immerhin in der Blüte seiner Jahre stehenden Menschen jeglicher Fähigkeit beraubt ( Die Experten der „dunklen Halle“ vermuten eine Variante des „FLUCH DER PESTILENZ“ . ).
Am Ende der Vorbereitungszeit jedenfalls bleiben nur die Fähigsten und Härtesten... und sie haben gelernt, Kunene Tapam- Wah, den Schinder, mit ganzer Seele zu hassen. Dennoch folgen sie (sprich: die für würdig befundenen Kandidaten) dessen Ruf nicht ohne Stolz und finden sich wieder auf dem Tabu Gorongo ein - vor den Pforten der Felsenhalle. Unten in der Tiefe hofft man, im Verlauf der Nacht des zweiten von drei Abstiegen das glühende Schamanen- Eisen in die Schulter gedrückt zu bekommen: Abschluß der Vorbereitungszeit, Zeichen vollzogener Initiation. Bis allerdings der Initiat endgültig für würdig befunden wird, die begehrte Brandmarke zu empfangen, steht ihm tief in SUMUS Schoß eine ebenso leidensreiche wie düstere - ja, entwürdigende - Prozedur bevor... über deren Hergang, kaum überraschend, die Beteiligten allerstrengstes Stillschweigen bewahren. Eines indes weiß man gewiß: Eine Manifestation transderischer Wesenheiten bleibt aus – und dem dritten und letzten Abstieg vorbehalten.
Und eben diese schicksalhafte Nacht - in der die Novizen das erste Mal einem Jenseitigen gegenübertreten werden - ist nun angebrochen... Vom Schamanen mit der geweihten Wurzel des Baumes Ook- Tri berührt, haben sich die mit schweren Bronze- Ornamenten beschlagenen Torflügel knarrend und eigenständig – Geisterhand? - geöffnet und den zur Felsenhalle führenden Schlund des Tabu Gorongo freigegeben. Einzig der Sturmwind streicht klagend über den Gebirgskamm, ansonsten herrscht drückende Stille. Die Novizen nehmen Aufstellung. Allesamt in den üblichen weißen Umhang gehüllt, ziehen sie heute auf Geheiß des magister zusätzlich eine Kapuze tief ins Gesicht...
Wellenartig pflanzt sich eine Bewegung durch die Reihe fort: Von vielen Händen wird eine kleine Gestalt an die Spitze geschubst: der schüchterne Tokahe, der – eh’ er sich’s versieht - vor der grauenerregenden Pforte steht. Verzweifelt schaut er umher: Hinter ihm halten weiße Gestalten die Reihen fest geschlossen. Der Rückweg ist verbaut. Zur Vorhut auserkoren hat man ausgerechnet den schmächtigsten Jungen, der nun - ein Stoßgebet auf den Lippen - zitternd und zagend den Fuß der Schwelle nähert, ohne indes den entscheidenden Schritt zu wagen... bis ein unwirsches Knurren ertönt. Ein einziges Knurren des magister... Das genügt, um Tokahe Hals über Kopf die steile Treppe hinunterzujagen. Lieber Satuuls, Ya- hais und Geisterspinnen begegnen als den Zorn des blasshäutigen Schamane erregen!
Zwölf Mädchen und zwölf Jungen: Hinein in die gähnende Finsternis tritt ein Novize um den anderen. Die meisten suchen Schutz bei einem in schweißnasser Handfläche krampfhaft umklammerten Amulett. Andere rufen mit geschlossenen Augen hastig ihr Tapam an; wieder andere geben sich tollkühn und tauchen mit einem Satz ein - Nichtschwimmer, die sich kopfüber in brodelnde Fluten stürzen... Eine einzige der weißverhüllten Gestalten hebt sich von der Masse ab und betritt den Tabu Gorongo gleichmütig ruhigen Schritts sowie hoch erhobenen Hauptes... Unschwer zu erraten, um wen es sich handelt. Die unter der Kapuze verborgenen Gesichtszüge braucht der Schamane (dessen Finger unwillkürlich nach dem brabaker Rohr tasten) nicht zu sehen: Istima Tonko ( mohisch: „hört im Schlaf den Schreivogel nicht“ ), des großen Kriegers Haya- Tepe Huka wunderschöne Tochter ( mohisch: „drei Speere fürchten sich nicht“ ).
„Hochmütig bist Du, dickköpfig und naseweis!“ Wiederholt ist Istima auf diese oder ähnliche Weise zur Ordnung gerufen worden... indes, ohne daß Rügen mehr als einen flüchtigen Eindruck hinterlassen oder Korrektionen eine erkennbare Verhaltensänderung bewirkt hätten. Kunene Tapam- Wah bedenkt das Mädchen mit einem finster nachtragenden Blick und schimpft: „Ja, wackel Du nur mit Deinem provokanten Hinterteil!“ – allerdings im Stillen und ohne die Lippen zu bewegen, denn es gilt, Vorsicht walten zu lassen: Den einflußreichen Vater fordert man nicht unüberlegt heraus. „Meine Anordnungen glaubst Du mißachten zu können, Du Tochter einer räudigen Wildkatze? Mich kann man getrost verspotten, hmm? Blaßhaut nennst Du mich, Du Koyotin. Aber warte nur: Dein arrogantes Grinsen werde ich Dir austreiben! Ha, ich will Dich mores lehren, Du schwarzes Miststück – Dich und Deinen gesamten Clan. Die Beschwörung heute Nacht soll Euch die Augen öffnen. Heulen und Zähneklappern! Vor Angst wirst Du Dich benässen wie ein Kleinkind! Auf Knien, Du aufgeblasene Kröte, ja, auf Knien! wirst Du mich anflehen, Umm- Nungmour nur ja rasch in translimbische Gefilde zurückzuverweisen!“
Nun hält allerdings über der Tochter der berühmte Krieger Haya- Tepe Huka keineswegs unentwegt schützend die Hand. Ganz im Gegenteil ermutigt er Istima, den Weg durch den Irrgarten des Leben selbst ausfindig zu machen und dabei eigene Kräfte zu beanspruchen... Gewissenhaft befolgt diese den Rat, genießt demzufolge mitnichten Narrenfreiheit... und hat trotzdem – so weit man weiß - noch niemals irgendjemandem nach dem Munde geredet, pflegt vielmehr unbewiesene Behauptungen und althergebrachte Meinungen in schönster Unbefangenheit regelmäßig sowie in aller Öffentlichkeit zu hinterfragen - eine Angewohnheit, von der sich naheliegenderweise manch einer der ehrwürdigen Stammesältesten gehörig vor den Kopf gestoßen fühlt...
Eben diese haben seinerzeit den Blaßhäutigen zu Hilfe gerufen, flugs mohisch getauft und dann in aller Eile zum Stammesschamanen erhoben – in der Hoffnung, er werde den übermächtigen Einfluß des Haya Tepe Huka zurückdrängen... und damit das gesamte unruhige Stammesvolk zur Vernunft zu bringen.
Einen Haufen ungebildeter Schwarzer zu disziplinieren - eine wenig anspruchsvolle Aufgabe... so dachte zunächst auch der frisch gebackene Schamane. Freilich, die Erfahrung lehrt: Diese Wilden sind kaum zu beeinflussen. Mit unerschütterlich heiterem Wesen ausgestattet, leben sie fröhlich in den Tag hinein und stellen körperlichen Reiz freizügig zur Schau. Einschüchterungsversuche werden schlichtweg als Scherz mißverstanden. Man fürchtet Götter und Geister wenig und schenkt Befehlen keine Beachtung. Wahrlich, ein hartes Stück Arbeit hat sich Kunene Tapam- Wah aufgebürdet – muß er doch, um die Auftraggeber zufriedenstellen, nicht weniger als den gesamten Stamm umerziehen und zu diesem Zweck die vorherrschende Lässigkeit, die von Neid und Ehrgeiz ungetrübte Einstellung gegenüber dem Leben von Grund auf ändern.
Dennoch - ein vielversprechender Anfang ist zwischenzeitlich gemacht, erste Erfolge stellen sich ein... und zwar in den Reihen der Jugendlichen, einer verhältnismäßig leicht knetbaren menschlichen Masse: In altbewährter Weise setzt der magister zwei Rohre ein: nämlich zum einen das bereits erwähnte und gemeinhin als brabaker bezeichnete, welches für Schmerzen und Strafe steht und dazu dient, den Willen der in die Obhut des blaßhäutigen Schamanen gegebenen Novizen zu brechen. Notwendig - und nicht schwer zu gehen, dieser erste Schritt. Jugendliche nämlich, so Kunene Tapam- Wah, wissen ohnehin kaum, was sie wollen und lassen sich folglich leicht in die Unterwerfung treiben. In diesem Zustand müssen sie dann allerdings auf Dauer gehalten werden - wesentlich schwieriger zu bewerkstelligen! Eine Aufgabe jedoch, die vornehmlich mit Hilfe des zweiten der beiden Rohre – nämlich dem sprichwörtlichen aus Zucker – bewältigt wird. Den Gefügigen winkt die Erlangung der Macht über die Geisterwelt... und Macht über die Geisterwelt, das heißt letztendlich: Macht über Mitmenschen und auf Dere, der Zusammenhang ist auch ohne ausführliche Erklärung schnell verstanden worden.
So sind denn die Novizen auf den breiten Pfad blinden Gehorsams eingeschwenkt, mehr oder weniger im Gleichschritt: die einen vom Ehrgeiz angestachelt, die anderen eher aus Furcht vor Korrektionen... und viele einfach aus einer gewissen Trägheit heraus. Diese allzu menschliche Eigenschaft begünstigt in hohem Maße das Vorhaben des Schamanen, der sich - angesichts der erfreulichen Entwicklung, die die Dinge genommen haben - eigentlich beruhigt zurücklehnen könnte... wäre da nicht... Istima... Istima...! immer wieder Istima, die nach wie vor mit Lust aus der Reihe tanzt, einen verdammenswürdigen Hang zum Widerspruch um des Widerspruchs willen pflegt und wider den Stachel des Lehrmeisters beständig löckt: Der sieht sein segensreiches Wirken und die eigene Stellung nachhaltig in Frage gestellt. Wie will er (später einmal) den ganzen Stamm unter seine Knute zwingen, wenn er (jetzt) mit einem einzigen Mädchen nicht fertig wird?
Auf die Missetaten der Tochter angesprochen, zuckt der Vater selbstverständlich nur breit grinsend die Schultern. Wie nicht anders zu erwarten, keinerlei Unterstützung von dieser Seite. Was also tun? Die einfachste Lösung - nämlich die widerspenstige Kröte als Versagerin zu kennzeichnen und kurzerhand in die Verbannung zu schicken - verbietet sich aus vielerlei Gründen... Die Tochter des Haya Tepe Huka schickt man nicht einfach so in die Verbannung, zum einen. Zum anderen triebe die ins Auge springende Ungerechtigkeit einer solchen Maßnahme den gesamten Stamm in den offenen Aufruhr, denn ein jeder weiß: Wer Istima als Versagerin bezeichnet, der lügt. Und letztlich: Verjagt der Zuchtmeister diese Schülerin, dann gesteht er – vor allem, wenn die Begründung lautet, die Betreffende sei nicht zu bändigen – letzten Endes eine schwere Niederlage ein. Die wiederum kann sich der Blaßhäutige nicht leisten. Ihm bleibt nur, höchstselbst die Unruhestifterin auf den Pfad der Tugend und des Gehorsams zurückzuführen. Dazu muß man all das mühsam nachholen, was der berühmte Krieger Haya Tepe Huka offenbar vernachlässigt hat, sprich: mit viel Geduld und noch viel mehr Strenge sämtliche beklagenswerten Eigenschaften des Mädchens eine um die andere angehen, an der Wurzel packen und auszurotten - mit Stumpf und Stiel sowie unter Zuhilfenahme von - nun gut, nicht gerade von Feuer und Schwert - aber doch unter Einsatz unnachsichtiger Korrektion und strengsten Drills...
2 Der Geist des Bären
Eine überaus zähe Angelegenheit, hat der pflichtbewußte magister, der kaum eine Gelegenheit zu Istimas Erziehung ungenutzt verstreichen läßt, zu seinem Leidwesen feststellen müssen: Doch - nur kein Defätismus, ausgerechnet zu Beginn der heutigen Nacht! Aller Anfang ist bekanntlich schwer... Inzwischen sind die letzten Novizen in den Tabu Gorongo eingetreten, die Schritte verhallen in der Tiefe. Es hat sich doch nicht etwa einer der vor Angst schlotternden Hosenscheißer in die Büsche verkrochen? Nein, alles vollzählig, niemand fehlt; getrost kann die Verbindung zur Außenwelt gekappt werden. Nachdem er sorgfältig die eisernen Riegel (dreizehn an der Zahl) vor die Tore geschoben hat, betritt der Schamane nun seinerseits die steil abwärts führende Treppe und spinnt, Mut schöpfend, den Faden der Gedanken weiter: Ja, aller Anfang ist schwer, doch werden die augenblicklich zugegebenermaßen noch unübersichtlichen Verhältnisse in Bälde eine endgültige und gründliche Klärung erfahren. Ist nämlich erst einmal die anstehende Beschwörung vollzogen und Umm- Nungmours Urgewalt über den Dschungel hereingebrochen, dann werden die halsstarrigen Wilden sich sehr schnell eines besseren besinnen und – endlich! – den Nacken beugen...
Die Gewißheit, letztendlich siegreich aus dem Gefecht hervorzugehen, hat den magister stets aufrecht gehalten - in manch schwerer Stunde, in der er an der Erziehbarkeit der nichtsnutzigen Wilden zu verzweifeln drohte und trotz aller Steine, die ihm von Istima Tonko – welch koboldischer Tunichtgut! Sinnbild allen Ärgers und Verdrusses, Fleisch gewordener Geist des Aufstandes! – immer wieder in den Weg gelegt worden sind. Haya Tepe Hukas Tochter, sie darf nicht unterschätzt werden – einerseits. Doch andererseits: Hat sich diese bockige Stute erst einmal unter Zaumzeug und Sattel begeben, ist das wilde Pferd zu guter Letzt doch unter die Peitsche gezwungen, dann, ja dann! wird man (führt der Schamane den bildlichen Vergleich fort) leichtes Spiel haben... und dem gesamten verrückten Stamm die Sporen tief in die Flanke schlagen.
In hellen Schein taucht eine große Anzahl an den Wänden angebrachter Fackeln in dieser Nacht des dritten Abstiegs die Felsenhalle, in der sich mittlerweile alle zweimal zwölf Novizen auf den Zuschauerrängen verteilt haben. Sind zunächst leise Gespräche geführt worden, so verstummen diese, als der magister erscheint. Wie immer trägt er gut sichtbar, in der rechten Hand schwingend, das berüchtigte Brabaker Rohr vor sich her und platziert es jetzt mit laut hallendem Knall auf der Tischfläche des an der vorderen Begrenzung der Bühne aufgestellten Pultes.
Selbstverständlich setzt die erfolgreiche Durchführung der bevorstehenden, mit erheblichen Gefahren belasteten Beschwörung das Stillschweigen des Auditorium unabdingbar voraus, darauf wird mit gerunzelten Augenbrauen und bedrohlich grollender Stimme eindringlich nochmals hingewiesen. Ergeben nicken die Novizen: In der Nacht des dritten Abstieges kommt es darauf an, Ruhe zu bewahren, das ist ihnen in den letzten Wochen wieder und wieder eingebleut worden, vollkommene Ruhe - unter allen Umständen. Fehlverhalten gefährdet Leben und Seelenheil... nicht nur der Anwesenden, sondern des gesamten Stammes. Einen glimpflichen Verlauf und ein baldiges Ende der Zeremonie – keinen anderen Wunsch hegt die Novizenschaft. Zum Verweilen lädt die Halle ja auch wahrlich nicht ein: Es herrscht eine dicke, atemberaubende Schwüle, derjenigen des dampfenden Regenwaldes in nichts nachstehend. Von der Decke tropft Wasser und die von den Fackeln erzeugte Hitze verbleibt vor Ort, denn das Tor nach draußen ist geschlossen und hier, tief in SUMUS Schoß, regt sich kein Lüftchen. „Man erstickt.“ Istima zieht die Kapuze vom Kopf.
„Bist Du verrückt?“ haucht die milde Baca, die wie immer neben der Kriegertochter Platz genommen hat. „Oder lebensmüde?“
„Weder... noch.“ erwidert diese kurz angebunden und legt den weißen Umhang ab.
Besorgt schaut sich Baca um: Der Schamane kniet in der Mitte der Bühne, hat mit Hilfe eines verkohlten Ästchens arkane Zeichen ( zweifelsohne ein Pentagramm ) auf dem Boden angebracht und ist jetzt damit beschäftigt, das zur Beschwörung erforderliche magische Feuer zu entfachen: Eine Tätigkeit, die alle fünf Sinne sowie Geistesgegenwart in hohem Maße erfordert... Ein Glück, Istimas Eigenmächtigkeit ist unbemerkt geblieben. Baca atmet erleichtert auf, dankt still ihrem Tapam und fächelt sich Kühlung zu (mit dem unter dem Umhang in die Tiefe geschmuggelten Blatte eines Bananenbaumes) ... als mit einem Male ein niederhöllisch stinkender Windstoß aus dem Nichts herbeibraust und schlagartig die Flammen sämtlicher Fackeln zum Verlöschen bringt ( Daß es sich hierbei – wie der magietheoretische Laie naheliegenderweise zu vermuten geneigt ist - um die Auswirkung eines „TLALUCS ODEM, SIECH UND KRANK“ handelt, lehnt das Gremium der „dunklen Halle“ geschlossen ab: Denken läßt die Beschreibung vielmehr an eine Art Kollateraleffekt, wie er bei Beschwörungen oftmals unbeabsichtigt auftritt. ) : Die Novizenschaft ringt um Luft, hustet, niest und prustet und die Halle liegt in nachtschwarze Finsternis getaucht. Lediglich das bläulich- unstete Flackern des magischen Feuers erhellt die Bühne, wo in wirbelnden Rauchschwaden breitbeinig des Schamanen Gestalt aufragt...
Dumpfe Formeln murmelnd, hält der in der linken Hand die geweihte Wurzel Ook- Tri, die rechte umschließt fest einen güldenen Dolch, dessen Klinge jetzt tief in SUMUS Leib fährt. Es gilt - das wissen die Novizen aus den der heutigen Nacht vorausgegangenen Übungen und Unterrichtsstunden - den Bären Umm- Nungmour zuerst zu beschwören, sodann zu bändigen und schließlich ins Jenseits zurückzuverweisen. Aus dem Nichts materialisiert sich da unter der Hallendecke ein vielköpfiger Schwarm selbstleuchtender Zwitterwesen – halb Schlange, halb Fledermaus ( Nach Auskunft der Experten der „dunklen Halle“ handelt es sich um sogenannte Mindergeister: Hinweis auf eine elementare Komponente). Mißtrauisch zieht die Novizenschaft die Köpfe ein. Kunene Tapam- Wah hingegen steht in entfesselter Dämonenbrandung als des Stammes unerschütterlicher Fels. Furchtlos blitzen die Augen unter buschigen Brauen hervor.
Die Zwitterwesen fallen der Auflösung anheim.
Die Dolchspitze gegen die Gewölbedecke gestreckt, verharrt gebieterisch der Beschwörer: „Umm- Nungmour...“ Aus einer jenseits weiter Gräberfelder beheimateten Schattenwelt scheint die Stimme zu erklingen: „Umm- Nungmour... Umm- Nungmour...“ und wiederholt unablässig: „Umm- Nungmour... Umm- Nungmour...“ . Tod, Untergang und Neuerstehung beschwört der dumpfe Sprechgesang, ringend um der Tiefen vieldeutige Antwort: „Umm- Nungmour... Umm- Nungmour... Umm- Nungmour...“ , bis es schließlich empordringt aus SUMUS unergründlichem Schoß: ein gewaltiges Brummen, das Sitzbänke und Herzen der zitternden und zagenden Novizenschar erbeben läßt. Des Gerufenen Materialisierung, das wissen alle - nun steht sie unmittelbar und unweigerlich bevor. Keine Magie Deres ( eine Behauptung, die den Magiexperten zufolge als poetische Übertreibung zu werten ist. )wird an diesem Punkt Umm- Nungmour mehr aufhalten...
Und da... zu Berge stünden Tokahes Haare, würden sie nicht von Kopftuch und Kapuze beharrlich niedergedrückt: schlierig- unbeständig zunächst, aber nach anfänglichem Zögern schnell klar wahrnehmbare Umrisse gewinnend, gerinnt aus flüchtigen Strömen sphärischer Kraft ein massiger Tierschädel zu greifbarer Form. Fellige Pratzen dringen hervor aus den Flammen. Umm- Nungmour, des Schamanen Geschöpf... Umm- Nungmour der Verschlinger... Umm- Nungmour hat sich von seinem Lager erhoben und den Limbus gequert... und nunmehr tritt er ein: Umm- Nungmour, der große Bär, in des Diesseits Sphären... ( Was die Natur der Umm- Nungmour Zeremonie betrifft, so scheiden sich hier die Geister (das Wortspiel sei gestattet) der „dunklen Halle“ . Ohne Gewichtung werden folgende Erklärungen alternativ angeboten: Beschwörung eines Dämonen sive eines Tier- sive eines nicht näher einzuordenenden Elementarwesens. )
Wie vom Blitz getroffen zucken Mädchen und
Jungen, als genau in diesem Augenblick ein ausgelassenes, helles
Lachen erklingt. Der Schamane, der sich eben anschickt, den Bann
zu sprechen und das zähnefletschende Untier mit der Wurzel
zu berühren, erstarrt... und schneller, als der Ungeübte
die Silben Umm- Nungmour mit den Lippen bilden kann, hat sich die
Erscheinung in dünne Luft aufgelöst ( Das Scheitern
der Invokation gibt der Expertenrunde keinerlei Rätsel auf:
Offenkundig ist des Beschwörers Konzentration in einem kritischen
Augenblick zusammengebrochen... ein Vorgang, der aus berufenem Munde
- sowie in der gebotenen Kürze - folgendermaßen analysiert
wird:
Magisches Wirken setze – psychologisch ausgedrückt –
eine Aufhebung der Grenzen zwischen astraler Matrix (sogenanntes
„arkanes Über- Ich“) , Zauberer ( „arkanes
Ich“) und Zauber- Substrat („arkanes Es“) voraus.
Aufgrund des distanzierenden, antimagischen Effektes der humoristisch
geprägten Störung habe sich dieser enge Kontakt, der die
für die Prozedur unabdingbare quasi- Verschmelzung von Subjekt
und Objekt erlaube, abrupt gelöst. Der Wissenschaft sei dieses
Phänomen keineswegs unbekannt. Es werde gemeinhin als „rigolante
Reaktion“ (des Zauberers) oder „moquante Interferenz“
(aus der Perspektive des antimagisch Tätigen) bezeichnet (s.
a. : „Handbuch der Tiefenpsychologie des Zaubervorgangs“
, Herausgeber Sigomondo Leid: Buch VIII: „fatale Witze“
und Buch IX: „der Spaßfaktor: eine mago- mathematische
Formelsammlung“ . Manuskript in der Bibliothek der „dunklen
Halle der Geister“ gegen Gebühr einsehbar) .
) . Das Lachen indes ist nicht verklungen; vielmehr geht es
erst in ein höchst unwürdiges Gegackere über und
dann in ein langgezogenes, nicht enden wollendes, immer wieder neu
auflebendes Mädchen- Kichern. Die Fackeln brennen hell und
fröhlich wie zuvor und von einer gespenstischen Stimmung ist
in der Felsenhalle nichts, aber auch gar nichts übrig geblieben.
Lange Zeit starrt Kunene Tapam- Wah fassungslos in die Flammen des verglimmenden magischen Feuers. Die Beschwörung - diese schreckliche Erkenntnis stellt sich nach und nach ein - ist gescheitert. Gescheitert. Ja, aus und vorbei... aus und vorbei. Die langwierige Vorbereitung... umsonst. Die Anstregung bleibt ohne Lohn, die Mühe hat sich nicht ausgezahlt. Die Arbeit mehrerer Monde zeitigt kein greifbares Ergebnis. Die in die Wagschale magischen Ringens geworfene astrale Kraft... wirkungslos verpufft. Unbeachtet liegen geweihte Wurzel und güldener Dolch am Boden.
Lange Zeit steht der Beschwörer reglos wie ein entzauberter Golem. Schließlich entringt sich der Brust ein schmerzliches Seufzen. Gleich denen eines in ausweglose Schrecken versunkenen Träumers irren die Augen ziellos durch die Halle, über die Zuschauerränge, die unter weißen Kapuzen verborgenen Gesichter – aber da: ein entblößter Schopf! Istima... Istima! Ein Ruck, oder besser: eine Art Krampf durchzieht den blassen Körper des Kunene Tapam- Wah. „Diese... Tochter eines hinterhältigen Caïman! Meine Beschwörung hat sie vereitelt, das elendige Biest!“ Erschiene Haß in Form von Funken, dann sprühte jetzt schieres hylailer Feuer aus des Schamanen Nüstern zerstörerisch hervor. „Das wird sie mir büßen. Sie soll mich kennenlernen, diese Giftschlange. Vorbei ist die Zeit der Milde. Teuer bezahlen wird sie jetzt für ihre Frechheiten.“ Rachedurst belebt den Willen, überwunden ist der Schwächeanfall.
„Wenn sich freundlicherweise“ , laut und befehlsgewohnt erklingt jene eiskalte Stimme, die die Novizen zu fürchten gelernt haben, „die junge Dame, die eben ihren Heiterkeitsausbruch nicht zu unterdrücken vermochte, doch bitte zu mir auf die Bühne herunterbemühen würde.“ Spöttische Höflichkeit, die erschaudern läßt: Das Opfer des Hohns kann sich schon mal auf eine Erziehungsmaßnahme der besonderen Art gefaßt machen. Kalter Angstschweiß steht der milden Baca in dicken Tropfen auf der Stirn. Ein flaues Gefühl in der Magengegend verspürt nicht nur einer der tapferen Jünglinge.
Raunen durchquert die Bankreihen, als sich mit den katzenartig- geschmeidigen Bewegungen eines Jaguars die Tochter des Haya Tepe Huka erhebt. Auf dem Antlitz verharren, deutlich erkennbar, Spuren des unzeitgemäßen Lachanfalls. „Das darf nicht wahr sein!“ Sie schüttelt die schwarze Mähne. „Bei Kamaluqs Tatzen! Ich habe doch wohl nicht schon wieder gegen einer der vielen Regeln verstoßen?“
Tröstend drückt Baca der Freundin rasch noch die Hand. „Kopf hoch, Istima, es wird schon nicht so schlimm werden...“ Natürlich wird es schlimm, aber was soll man in einer solchen Lage sonst sagen?
Die Treppe, die von den Zuschauerrängen zur Bühne führt, schreitet die ertappte Sünderin hinab - einerseits ohne Hast, andererseits aber auch ohne ängstliches Zögern an den Tag zu legen: immer hübsch eine Stufe um die andere, locker die wohlgeformten Hüften schwingend. Keck und herausfordernd blitzen die Augen in die Runde, alle Zeichen gelöster Heiterkeit prägen die Gesichtszüge. Die Kriegerstochter scheint tatsächlich nicht nur den Vorfall auf die leichte Schulter zu nehmen, sondern ihm darüberhinaus eine belustigende Seite abzugewinnen ... und zwinkert der Novizenschar jetzt gar aufmunternd zu. Baca ihrerseits bemüht sich inständig, bei Sinnen zu bleiben und nicht ohnmächtig vom Sitz zu rutschen – mehr kann man ihr im Augenblick unmöglich abverlangen.
Ob Freund, ob Feind: Niemand kommt umhin, der Verwegenheit, die die Kriegerstochter regelmäßig unter Beweis stellt, uneingeschränkt Bewunderung zu zollen. Ansonsten aber fällt die Beurteilung durch die Altersgenossen ziemlich gegensätzlich aus, im allgemeinen... und auch im besonderen, was diesen neuerlichen Vorfall betrifft: Die geistige Unabhängigkeit beneiden die einen; gleichwohl verhindert ein Mangel an Mut, dem tollkühnen Vorbild nachzueifern. Altklug schütteln andere den Kopf: Unangemessen und unwürdig, das Betragen; schon des Exempels wegen gehört die Aufsässige ohne Nachsicht bestraft – korrigiert, wie der magister sich auszudrücken beliebt. Das kann schließlich unmöglich so weitergehen: Die bestgemeinten Ratschläge schlägt Istima in den Wind... und bringt der Kleiderordnung nichts als Gleichgültigkeit entgegen. Mehrheitlich versichern die Novizinnen, ein züchtiges Auftreten zu befürworten... davon kann aber (schaut Euch das bloß mal an: der Gipfel der Unverschämtheit!) überhaupt nicht die Rede sein - und das in der Nacht des dritten Abstiegs! in diesem schicksalsschweren Augenblick...
... in dem wiederum die männlichen Novizen die Argumentation pro und contra sowie überhaupt jegliche vernunftgeleitete Denktätigkeit einstellen - sind sie doch vollauf damit beschäftigt, die Augen weit aufzusperren und mit selbigen die gertenschlanke Gestalt des Mädchens zu verschlingen... Kein weißer Umhang, keine Kapuze, kein Kopftuch. Stattdessen - dreist! - trägt die Novizin das blauschwarze Haar offen, ein knappes Hemdchen sowie zu hohen Stiefeln aus anschmiegsamem Leder einen bunt gemusterten sowie vor allem überaus kurzen Rock. Die Jungen, denen ja seit Beginn der Novizenzeit der Anblick einer Fessel oder auch nur eines bloßen Unterarmes vorenthalten geblieben ist, fühlen sich der Sprache beraubt. Niemand bringt ein Wort über die Lippen: Eine Blatt hörte man zu Boden fallen, als das Mädchen die Bühne betritt.
„Magister.“ Förmlich verneigt sich Haya Tepe Hukas Tochter.
„Euer, wie soll ich’s nennen... Aufzug – was bedeutet das? Was bezweckt Ihr, Novizin?“ Verbittert schüttelt der Schamane den Kopf. „Ihr habt Euch des vorgeschriebenen Umhanges wieder einmal entledigt und stellt Euren Körper mit der Euch eigenen Unverfrorenheit zur Schau. Den Zorn der Jenseitigen fordert Ihr leichtsinnig heraus und gefährdet unser aller Leben und Seelenheil... Ich werde nicht umhin können, Euren verehrten Vater - der sich gewiß mit viel gewichtigeren Dingen herumzuschlagen hat - in dieser ebenso peinlichen wie überflüssigen Angelegenheit zu belästigen.“
Stolz erhobenen Hauptes und schweigend steht die Istima vor dem magister. „Halt Dich gut.“ Baca versucht still flehend, der Freundin Tapam zu möglichst weitreichenden Anstrengungen zu veranlassen.. „Gib nicht klein bei. Du bist tapfer. Ich an Deiner Stelle würde jetzt sicher heulen... oder um Gnade flehen und das Blaue von Alveran herunter versprechen - alles in der Hoffnung, der Korrektion zu entgehen... umsonst natürlich.“ Furcht? Möglicherweise kennt Istima ja den Begriff - wenn dem aber tatsächlich so sein sollte, dann merkt man ihr das nicht an: Weder entschuldigt sie sich, noch bittet sie um Milderung der Strafe. Sie senkt auch nicht reumütig den Kopf, sondern läßt frei den Blick über die Gesichter im Auditorium schweifen und man meinte sogar, ein belustigtes Grinsen die Mundwinkel umspielen zu sehen. Längst schon zittern manch Novizem die Knie, gänzlich unbeeindruckt aber gibt sich die Tochter des Haya- Tepe Huka.
„Erweist mir eine besondere Gunst, Novizin.“ Bis in die hintersten Ränge ist des magister schneidende Stimme zu vernehmen. „Verratet freundlicherweise mir und dem Auditorium ein Geheimnis: Was, bei allen Geistern, hat so ungemein zu Eurer Belustigung beigetragen? Einem klugen Köpfchen wie dem Eurem dürfte kaum entgangen sein, daß die arkane Kunst keinerlei Leichtfertigkeit verträgt... Und unzureichend charakterisiert ist die Beschwörung des Umm- Nungmour mit der Bezeichnung ‚ernst’ - denn gerade diese Prozedur gerät, wenn man nicht höchste Konzentration walten läßt, sehr leicht außer Kontrolle. Indes - dieses Risikos wart Ihr Euch möglicherweise nicht bewußt?“
„Oh doch.“ Istima lächelt entgegenkommend. „Im Gegenteil: Die Tragweite der Prozedur ist und war mir voll und ganz bewußt.“
„Ein Stein fällt mir vom Herzen.“ gibt der magister zurück. „Hatte ich doch bereits begonnen, mich mit bitteren Vorwürfen zu überhäufen... in der Überzeugung, es sei mir mißlungen, Euch diese wichtige – lebenswichtige - Tatsache zu vermitteln. Vor der Einleitung der Invikation (meine ich mich zu erinnern) bat ich ja auch unmißverständlich um vollkommene Ruhe. Umso mehr verwundert mich, daß die Erscheinung des Verschlingers Euch zu lautem Lachen veranlaßte.“
„Ich...“ hebt Istima an, nur um gleich wieder glucksend zu verstummen.
„Vielleicht - so überlege ich mir jetzt im Nachinein - habe ich mich ja verhört?“
„Er spielt Katz und Maus mit ihr.“ In ohnmächtiger Wut ballt Baca die zarten Fäustchen. „Das ist unwürdig. Er sollte die Korrektion lieber unverzüglich und ohne dieses Wortgeplänkel vollziehen.“
„Wie Ihr wißt, bin ich keiner junger Mann mehr. Ich stehe an der Schwelle zum Greisenalter.“ erklärt der magister zur allgemeinen Verwunderung und nimmt ächzend eine gebeugte Haltung ein. „Mein Gehör...“ , fährt er mit zittriger Stimme fort, „... es ist nicht mehr das, was es einmal war.“ Jeder weiß um die überaus scharfe Wahrnehmung... und fürchtet sie. „Ich schließe nicht aus, daß ich einer Art Sinnestäuschung erlegen bin. Ich vermute sogar, Ihr lachtet gar nicht, sondern saht Euch veranlaßt, einen mädchenhaften, spitzen Schrei auszustoßen, weil der Geist des Umm- Nungmour Euch erschreckte.“
„Er will sie dazu verführen, die Unwahrheit zu sagen.“ empört sich Baca. „Wenn sie auf die List hereinfällt, dann kann er sie als Lügnerin anprangern und bloßstellen. Werd’ nur ja nicht weich, Istima.“
Die Sorgen der Freundin erweisen sich als überflüssig. Die Tochter des Haya- Tepe Huka, sie ist aus echtem Mohagoni geschnitzt. „Umsonst sorgt Ihr Euch, verehrter magister,“ entgegnet sie (wieder dieses zuvorkommende Lächeln) . „Von seiner berühmten Präzision hat Euer Gehörsinn nichts eingebüßt... Ihr seid keiner Sinnestäuschung erlegen. Und was mich betrifft, so kann ich mit Fug und Recht versichern, daß ich nicht erschrocken bin. Im übrigen...“ Sie bleckt die Zähne wie eine Raubkatze und wirft stolz den Kopf in den Nacken, wobei der prächtige Haarschopf aufsehenerregend durch die Luft wirbelt. „... Ich neige überhaupt nicht sonderlich zur Schreckhaftigkeit.“ In der Tat! „Und... ja, es stimmt: Ich bestätige hiermit, daß ich tatsächlich gelacht habe.“
Daß dieser Gegnerin mit den üblichen Kniffen und Gemeinheiten nicht beizukommen ist, erkennt Kunene Tapam- Wah jetzt - spät, indes nicht zu spät. Er stellt die Vorgehensweise um: „Novizin!“ Keine Spur mehr von Zittern in der Stimme. „Ich fordere eine Erklärung.“ Der Spott entfällt, es geht jetzt unmittelbar zur Sache. „Legt gefälligst ohne Umschweife und Ausflüchte dar, was Euch dazu veranlaßte, meiner ausdrücklichen Anordnung zuwiderzuhandeln.“
„Ich...“ Istima beginnt erneut zu glucksen, „ich dachte...“ Die Schultern zucken, die Gesichtszüge verziehen sich und ein neuerlicher Heiterkeitsausbruch erstickt die Stimme. „Es... es war“ , bringt die Kriegerstochter mühsam hervor, „einfach zu komisch.“ Komisch? Verwirrt schauen sich die Novizen an: der zähnefletschende Kopf des Untieres - komisch? „Umm- Nungmour, sein Gesichtausdruck... schrecklich dämlich - so als hätte er gerade... na ja, eben...“ Sie wiehert ungehemmt los. „... nicht dicht gehalten.... gestrullt, wie man so sagt... ein Wässerchen...“ Blankes Entsetzen erfaßt das Auditorium. „unter sich gelassen... Und außerdem“ , fügt sie zwischen zwei prustenden Lachanfällen hinzu, „was soll die Aufregung? Eurem Bärchen ist doch nicht passiert.“
3 Helden
„So... etwas... nein...!“ Jegliche Farbe hat des magister ohnehin blasses Antlitz eingebüßt. „Noch nie in meinem ganzen Leben...“ Sichtlich ringt er um Fassung. „Unverschämtheit.... in all den Jahren... welch eklatanter Mangel an Respekt...!“ Die Kriegerstochter streckt die Nase hoch in die Luft und betrachtet von oben herab den hilflos Stammelnden - mit etwa jenem Maß an geistiger Anteilnahme, die man einer unbekannten Käfergattung entgegenbringt. „Novizin... Ich bin...“ Unterstützung suchend, greift er nach dem brabaker Rohr, Wahrzeichen lehrmeisterlicher Macht... und tatsächlich, das treue Holz scheint seinen Herren mit frischer Kraft zu beseelen: Immerhin vernimmt man jetzt wieder einen zusammenhängenden Satz: „Ich komme beim besten Willen nicht mehr umhin, Euch hic et nunc einer Korrektion zu unterziehen.“ Trotz der schwülen Hitze fröstelt die Novizenschaft. „Versucht nicht, mich umzustimmen.“ Das Mädchen zuckt abschätzig mit den Schultern – ganz der Vater. „Und appelliert nicht an meine Milde.“ Milde? Baca überlegt, ob sie sich verhört hat: welche Milde? „Wenn die junge Dame jetzt bitte“ , die Spitze des Rohrs tanzt auf der Handfläche des magister, der sich offenkundig wieder als Herr der Lage zu fühlen beginnt und jetzt auch zum Tonfall ätzenden Spottes zurückfindet, „so freundlich sein würde, die vorgeschriebene Stellung einzunehmen.“ Heiße Tränen des Mitleids steigen Tokahe in die Augen.
„Arme, ärmste Istima.“ Baca ringt die Hände, als sie mitansehen muß, wie die Freundin den Oberkörper gegen die Tischfläche des Pultes senkt und sich vorneüber beugt, die Kniegelenke steif durchgedrückt. Straff umspannt die runden Gesäßhälften der Stoff des Röckchens... dessen Saum zwangsläufig nach oben rutscht, die sehenswerten Oberschenkel der Betrachtung freigebend. „Welch Erniedrigung!“ denkt Baca, die sich stellvertretend für die Freundin in Grund und Boden schämt. Den jungen Burschen indes fallen fast die Augen aus dem Kopf. Kein Wunder, ein solch reizvoller Anblick besitzt Seltenheitswert für die keusch lebende Novizenschaft des Kunene Tapam- Wah. Eine der Zuschauerinnen vermag ein angespanntes Kichern nicht zu unterdrücken.
„Beim nächsten Geräusch!...“ erklärt daraufhin der magister, dem die Zornesröte ins Gesicht steigt, „werde ich geeignete Maßnahmen ergreifen, um diesen ganzen ungeratenen Jahrgang auf den Weg der Ordnung und des Respekts zurückzuführen! ... Und nun zu Euch, Novizin.“ erklärt er mit Grabesstimme der Sünderin, die, vorneüber gebeugt, der Korrektion zu harren gezwungen ist. „Was Euch betrifft, so dürfte Eure kurze, aber unrühmliche Laufbahn heute ihren vorläufigen Tiefpunkt erreicht haben. All die hochfliegenden Hoffnungen, die ich – nein: die ein jeder, die der ganze Stamm – auf Euch, auf Eure Entwicklung setzte... wie bitter wurden sie doch enttäuscht!“ Ein abgrundtiefer Seufzer untermalt die Vorhaltungen. „Eines berühmten Kriegers Tochter - mit allen erdenklichen physischen und psychischen Fähigkeiten ausgestattet – würde (so glaubten wir) ihr Volk zum Triumph über die Feinde, zum hellen Licht der Erkenntnis führen und selbst dereinst als strahlende Heroin in die Legende eingehen.“ Nicht nur für angemessen, sondern auch für zweckdienlich hält es der magister, zermürbend auf die Seele einzuwirken und auf diese Weise der eigentlichen Körperstrafe mittels wortgewaltiger Ermahnungen den Boden zu bereiten (wie der Landmann ja auch damit beginnt, die Scholle aufzubrechen und nicht vorher, sondern erst im Anschluß daran zur Aussaat schreitet) oder, kurz gesagt: die zu Korrigierende zunächst im übertragenen und dann im handgreiflichen Sinne weichzuklopfen.
„Ein hochbegabtes Mädchen wie Du sollte sich“ , zugunsten der harten Unmittelbarkeit des „Du“ gibt der magister das förmliche „Ihr“ auf, „der Gunst der Götter als würdig erweisen. Es geht dabei um Dankbarkeit - ein Begriff, der Dir wenig vertraut scheint. Warum gibst Du von der Gnade, die Dir in überreichlichem Maße zuteil geworden ist, nicht an die Stammesgefährten weiter? Anderen als leuchtendes Vorbild zu dienen, darin sieh Deine Berufung, Novizin! Stattdessen eiferst Du billigen Animierdamen einer brabaker Hafenkneipe nach... Du zeigst gern Deine Beine?“ fährt er gehässig fort. „Jetzt bist Du bedient. Das ganze Auditorium starrt auf nichts anderes...“ Er schweigt, doch die Gelegenheit zur Gegenrede läßt das Mädchen ungenützt verstreichen – vielleicht verspürt es ja doch langsam so etwas wie... Angst? „Deine Schande, die hast Du selbst herbeigeführt. Deine Erniedrigung bezeugen alle hier Anwesenden.“ Unterdessen hat sich das brabaker Rohr still und leise von hinten angeschlichen und streicht nun mit sachter Grausamkeit über die schwarzsamtene Haut der Oberschenkel... jedoch ohne auch nur die leiseste Andeutung eines schreckhaften Zuckens hervorzurufen: Istima, sie verfügt - das weiß man - über Nerven aus gehärtetem Zwergenstahl.
Was für eine unglaubliche, sagenhafte Sturheit! „Ich hoffe, Novizin“, die Stimme des magister klingt heiser und mühsam beherrscht, „daß Du aus der Lektion, die ich Dir nun administrieren werde, lehrreiche Rückschlüsse zu ziehen willens und in der Lage bist.“ Er kocht innerlich. Bei allen siebtsphärigen Scheußlichkeiten, diese dickköpfige Wilde! Jetzt sofort die unausstehliche Istima über’s Knie legen und ihr nach Strich und Faden das dralle Hinterteil nach Leibeskräften versohlen: so lange, bis endlich der Stock bricht... Eine Versuchung, der man um keinen Preis nachgeben darf, eine Befriedigung, welche sich der magister zu versagen gezwungen ist – im Bewußtsein, daß ihm ein derartiges, familiäres Vorgehen als Schwäche ausgelegt würde. Auf die Stufe der zu Züchtigenden darf sich der Zuchtmeister niemals begeben: kühl bleiben, Abstand wahren, Überlegenheit aufzeigen! „Euer von uns allen hochgeschätzter Vater,“ erklärt in diesem Sinne nun der magister, der sich mit aller Macht zurückhält, „er tut mir aufrichtig leid, denn er ist ein rechtschaffener Mann, der unserem Volk dient wie kein anderer. Seine Krieger lieben und fürchten ihn... einzig seine Tochter tanzt ihm offensichtlich auf der Nase herum.“
Im Gegensatz zu anderen Novizen und Novizinnen, die unter dem Eindruck der Vorwürfe und vor allem in Erwartung der unmittelbar bevorstehenden Züchtigung zu zappeln anfangen, bleibt Istima gefaßt und entgegnet nunmehr, da der Strafvortrag beendet erscheint: „Sinn und Zweck Eurer Vorhaltungen ist mir nicht entgangen, verehrter magister. Ich stehe bereit... Seid so freundlich, mit der Korrektion zu beginnen... sie mir zu, mm, administrieren - so sagt man doch, nicht wahr?“
Wie, bei allen Dämonen, soll man diesem Mädchen bloß beikommen? Kunene Tapam- Wah ist gewiß kein Dummkopf, hat nicht den Fehler begangen, die Gegnerin zu unterschätzen und sich in Erwartung einer langwierigen und schwierigen Auseinandersetzung wohlweislich mit Geduld gewappnet. Umsonst: Übermächtiger Zorn fegt alle guten Vorsätze hinweg. „Na warte, Du Miststück!“ schreit der magister, wirft Arm und Stock weit zurück, steckt in den anstehenden Schlag alle zur Verfügung stehende Kraft und die gesamte angestaute Wut. Baca schließt die Augen und spannt unwillkürlich die eigenen Gesäßmuskeln an. Mit giftigem Pfeifen durschneidet der Stock die Luft, ein ganz kurzer, dafür aber umso bedrohlicherer Augenblick der Stille - dann trifft das brabaker Rohr auf der Widerspenstigen Hinterteil und erzeugt einen peitschenden Knall, der den Novizen durch Mark und Bein dringt. Gequält stöhnt die Menge, ein spitzer Schrei gar entfährt einer der Zuschauerinnen – nicht hingegen der unmittelbar Betroffenen. „Wenn Ihr, Novizin,“ mahnt leise keuchend der Zuchtmeister, „die Gepflogenheiten freundlicherweise beachten und die Schläge zählen würdet.“ ... und bestätigt damit Bacas Befürchtungen: Es bleibt nicht bei einem Hieb.
„Sicher doch.“ erklingt Istimas Stimme, klar und deutlich... und unerträglich zuvorkommend. „Eins.“ Weder ist die Kriegertochter gezwungen, auf die Zähne zu beissen noch steckt ihr ein Kloß im Hals.
Erneut holt Kunene Tapam- Wah aus. Der ganze Körper der Gezüchtigten wird beim scharfen Aufprall des Stocks ruckartig nach vorne gestoßen. „Es ist furchtbar... Es ist schrecklich... Es ist...“ Baca fehlen die Worte.
„Zwei.“ zählt Istima beiläufig. Man gewinnt keineswegs den Eindruck, als werde ein jämmerliches Schluchzen mühsam unterdrückt. Die Novizinnen danken ihrem Tapam, daß sie nicht selbst unten am Pult stehen... nichtsdestoweniger erachten die meisten von ihnen die Korrektion als redlich verdient und sinnvoll: Wer weiß? Vielleicht verhilft eine ordentliche Tracht Prügel der überspannten und aufgedrehten Kriegerstochter, die stets im Brennpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit steht, zu einem Mindestmaß an Bescheidenheit und Zurückhaltung.
„Gleich... Gleich ist es überstanden, Istima.“ Baca schöpft Hoffnung. „Und Du darfst stolz auf Dich sein, Du bist nicht schwach geworden.“ Die männlichen Novizen wünschen zwar keine Ausweitung der Korrektion, hoffen aber insgeheim auf eine Fortsetzung der Strafpredigt, haben sie sich doch an der entzückenden Ansicht, die die vorneüber gebeugte Istima bietet, noch längst nicht sattgeschaut.
„Drei.“ verkündet zuversichtlich die Bestrafte und streckt den Rücken; die Bewegungen wirken kaum weniger geschmeidig als zuvor. Sie tritt auf den Lehrmeister zu, um sich, den Sitten gemäß, mit Handschlag für die empfangene Korrektion zu bedanken.
„Ihr seid voreilig, Novizin.“ Kunene Tapam- Wah jubiliert innerlich: Die Gegnerin, er hat sie auf dem falschen Fuß erwischt! Wie ein Werwolf zieht er die Oberlippe von den Zähnen und verweist genüßlich mit der Spitze des brabaker Rohrs auf die Tischfläche des Pults.
„Nicht das Ende?“ Baca bedeckt die Augen mit den Händen. „Drei Stockschläge, das ist doch wahrhaftig genug !“
Nur ganz kurz gibt sich Istima eine Blöße und zeigt Überraschung... um sich dann jedoch wie eine Künstlerin, die um Zugabe gebeten wird, huldvoll zu verneigen, mit betont federndem Schritt zum Pult zurückzukehren, daselbst die von den männlichen Zuschauern so geschätzte Haltung einzunehmen und – wo bringt sie nur diese Frechheit her! - frivol das bunte Röckchen zu lupfen. Der Zweikampf geht in eine neue Runde.
„Vier!“ Schmerzen beeindrucken die Kriegerstochter nicht und schon gar nicht wird sie sich dazu bringen lassen, der Gewalt zu weichen, klein beizugeben und um Gnade zu bitten. Niemals!
„Fünf!“ Ausgelassen grinst das Mädchen ins Auditorium und streckt dem raubvogelartig herniederfahrenden Rohr das Hinterteil herausfordernd entgegen
„Sechs!“ Dieselbe klare Stimme. Baca allerdings – sie kennt die Freundin von Kindesbeinen an - entgeht nicht, daß der strahlende Gesichtsausdruck an Glanz einzubüßen im Begriff steht. Sechs Schläge mit dem brabaker Rohr – alles, was recht ist, das hinterläßt Spuren... bei der Gezüchtigten, aber auch im Auditorium, wo die Stimmung langsam, aber sicher zu kippen beginnt: In der Tat, die Einstellung der Zuschauer erfährt eine Veränderung: Nach Überwindung des ersten Schreckens hat zunächst in oberflächlicher Weise die Aufmerksamkeit männlicher Novizen ganz überwiegend Istimas wohlgeformtem Gesäß gegolten und die Mißgunst einiger Novizinnen ist in Äußerungen der Schadenfreude mehr oder weniger deutlich zum Ausdruck gekommen. Aber: mittlerweile ein halbes Dutzend Stockhiebe für unangebrachtes Lachen – eindeutig sprengt die Korrektion den Rahmen des Üblichen und Vertretbaren. Verärgerung über die offenkundige Unangemessenheit des Strafmaßes macht sich breit und drängt anderweitige Erwägungen zurück:
„Sieben!“ Das halbe Dutzend, es ist doch voll - und trotzdem ein Abschluß immer noch ins Sicht? Ungeachtet der unmißverständlichen Warnung des gestrengen Lehrmeisters werden im Auditorium unbestimmte Geräusche laut - wenn auch keine klar verständlichen Äußerungen. Die Widerstandskräfte der weichherzigen Baca schwinden. Sie sehnt das Ende des grausamen Schauspiels herbei. „Warum entschuldigt Istima sich nicht!“ Dicke Tränen kullern über die Wangen. „Warum muß sie - koste es, was es wolle - ihren verdammten Trotzkopf immer durchsetzen?“ Wenn die Freundin nur zugeben könnte, daß sie sich ungebührlich benommen hat, dann würde der magister doch sicherlich Gnade vor Recht ergehen lassen... oder würde er etwa nicht?
„Acht!“ Die Stimme klingt weiterhin ungetrübt, aber unverkennbar ist Anspannung aus dem Antlitz der Gezüchtigten abzulesen. Einige Novizen tuscheln miteinander, andere scharren mit den Füßen auf dem Boden wie unruhige Pferde. Lippen formen stumme Worte der Empörung, doch noch verhindert die Furcht vor der gerade jetzt wieder unter Beweis gestellten unerbittlichen Strenge des Schinders jede offene Äußerung des Unmuts.
„Neun!“ Unfaßbar! Tokahe gräbt die Schneidezähne in die Unterlippe, spürt nichts, schmeckt nicht das träg in die Mundhöhle quellende Blut. Noch nie hat es so etwas gegeben! Jeder Schlag heizt den Zorn der Novizenschar weiter an: Gegen die Regeln! flüstert man. Schreiendes Unrecht! Eine maßlos strenge Korrektion - und dazu noch bei einem Mädchen! Am liebsten würde Baca Augen und Ohren fest verschließen, nichts mehr sehen und auch nichts hören - vor allem nicht das bösartige Knallen der Hiebe... aber nein, sie muß bezeugen, was hier geschieht: Alles andere käme Feigheit vor dem Feinde, oder, schlimmer noch: Verrat an der Freundin gleich.
„Zehn!“
Zehn, endlich. Baca tief atmet durch und dankt von Herzen allen guten Geistern nah und fern, daß die Quälerei endlich, endlich durchstanden ist. Mit Sorge beobachtet sie allerdings, daß die Freundin keinerlei Anstalten trifft, eine aufrechte Haltung einzunehmen. „Sie rührt sich nicht!“ Heißer Schreck: Gelähmt? Tot gar?... Nein, Unsinn, das kann...
„Elf!“ bringt Istima mit gepresster Stimme hervor.
Elf? Was bei allen... Baca zittert wie Espenlaub.
Zwischen zusammengepressten Zähnen zischt die Kriegerstochter: „Zwölf!“
Zwölf? Zwölf! Und der Stock schwingt schon wieder... „Genug!“ ruft da eine helle Stimme klar und deutlich. Baca durchfährt ein eisiger Schreck. „Zu viel!“ Jemand hat es doch wirklich und wahrhaftig gewagt... Jemand? Nein, nicht irgendjemand, sie selbst, sie – die sonst nie unaufgefordert spricht - ist, ohne über die Folgen der Handlung nachzudenken, einfach vom Sitz aufgesprungen und hat laut und vernehmlich in die Halle hineingerufen, nein: einen gellenden Schrei ausgestoßen... Einfach herausgeplatzt ist das aus der stillen Baca, sie hat es nicht mehr mitansehen können. Einen Augenblick lang ruhen die Augen der Zuschauer baß erstaunt auf der als fügsam bekannten Novizin... die auch der magister fassungslos anstarrt.
Istima hat den Oberkörper aufgerichtet. Ihr Blick hängt an den Lippen der Freundin. Das unterschwellige Flüstern wächst sich zu lautem Gemurmel aus und dann schreit einer aus dem Schutz der Menge heraus: „Ja, genug!“ und noch einer: „Es reicht! Zu viel!“
In diesem Augenblick begeht Kunene Tapam- Wah einen Fehler, schätzt die Lage falsch ein. Noch ist diese ja nicht bis zum äußersten zugespitzt: Entgegenkommen könnte die Menge beschwichtigen und die anschwellende Empörung in sich zusammenfallen lassen. Doch – Zugeständnisse an diese Rotznasen? „Still!“ Mit befehlsgewohnter Stimme und zornig funkelnden Augen sucht der magister die Aufrührer in die Schranken zu verweisen. „Ich bitte mir vollkommenes Schweigen aus! ... Du, Istima, rührst Dich nicht vom Fleck!“ Erneut das Schwingen des brabaker Rohrs.
„Sofort aufhören!“ brüllt da der schüchterne Tokahe. Offen zeigt er das Gesicht, die Kapuze ist gefallen. Mit einem Satz springt er auf die Bank. „Ich dulde das nicht länger!“ Anklagend zeigt er - „Das ist keine Züchtigung! Das ist eine Hinrichtung!“ - auf Kunene Tapam- Wah, der innehält und, vom Verlauf der Ereignisse gänzlich überrascht, den Rohrstock sinken läßt.... woraufhin ein wahrhaft niederhöllischer Lärm losbricht. Novizinnen und Novizen – allesamt stehen sie auf den Bänken und brüllen die angestaute Wut gegen den Schinder heraus. Einige schicken sich gar an, die Treppe zur Bühne hinunterschreiten. Sie haben die Umhänge abgeworfen und die Fäuste geballt.
Es geht nicht mehr um Istima, durchzuckt es den
magister, es geht um Abrechnung. Die Meute wird sich nicht damit
begnügen, das verhaßte brabaker Rohr zu zerbrechen; nein:
der Zuchtmeister selbst soll dran glauben. Sein Leben steht plötzlich
auf dem Spiel. Er sieht sich in der Falle: Keine Möglichkeit
zur Flucht, natürlich nicht – zu der Pforte, die er selbst
verriegelt hat, führt der einzige Weg... und der ist besetzt
- von der Menge, die näher rückt, wild entschlossen. „Haltet
ein, sonst...“ ruft drohend der Schamane, breitet beide Arme
weit aus und - das wirkt! - stellt er überrascht fest: Das
Geschrei verklingt, verunsichert bleiben die am weitesten Vorgerückten
stehen. Was nun? Kurzfristig hat er ihnen den Schneid abgekauft,
aber lange werden sie nicht aufhalten lassen. Die letzte Rettung:
Der Zeigefinger der linken Hand zeichnet ein arkanes Zeichen hastig
in die Luft. Bei allen Siebtsphärigen, jetzt muß es sehr
schnell gehen... „Furor, Blut“ , donnernd erfüllt
die Stimme der Halle weites Gewölbe, „und Sulphur...“
Der Rest aber geht in dem hasserfüllten Aufschrei der Menge
unter. Kunene Tapam- Wah läßt im Gefühl der Ohnmacht
die Arme sinken und wankt, wie vom Hieb einer unsichtbaren Riesenfaust
getroffen ( Offenkundig eine „FUROR, BLUT und SULPHURDAMPF“
– Invokation. Zum Grund des Scheiterns äußern sich
die Experten widersprüchlich: Die Mehrheit vertritt den Standpunkt,
daß infolge der vorausgegangenen Umm- Nungmour- Beschwörung
Kunene Tapam- Wah nur über unzureichende Reserven an Astralenergie
verfügt. Die abweichende Minderheitsmeinung dagegen formuliert
eine Theorie, derzufolge auf der Basis der emotional hoch aufgeladenen
Situation eine (wenn auch nur abortiv wirksame) Kollektiventladung
der Intuitivform eines Kampfzaubers (FULMINICTUS DONNERKEIL oder
gar HÖLLENPEIN ZERREISSE DICH) ungezielt eingetreten ist .
(s. a. : „Handbuch der Tiefenpsychologie des Zaubervorgangs“
, Herausgeber Sigomondo Leid: Buch II: „Kasuistik arkaner
Spontanentladungen“. Manuskript in der Bibliothek der „dunklen
Halle der Geister“ gegen Gebühr einsehbar) .
). Die Novizen - bis vor wenigen Augenblicken noch in geduckter
Unterwürfigkeit verharrend ... jetzt stürmen sie heran,
eine selbstvergessene Meute, von Rachedurst getrieben.
Kaum weniger entgeistert als Kunene Tapam- Wah steht Istima am Pult und starrt auf die Altersgenossen, erkennt kaum einen wieder, sieht nur entstellte Fratzen, Schaum vor den Mündern. Ein Haufen tollwütiger Tiere - sie werden ihr Opfer totschlagen, sie werden es zertrampeln und in Stücke reissen, um sich am vergossenen Blut zu berauschen. „Zurück, Ihr Wahnsinnigen!“ Keinerlei Beachtung schenken die Entfesselten dem Ruf des Mädchens. „Zurück!“ Das sieht jetzt keine andere Wahl, als mit dem eigenen Leibe schützend vor den magister hinzutreten. In diesem Augenblick blitzt der güldene Dolch und die tobende Meute kommt erneut zum Stillstand.
„Ein Schritt weiter und ich schneide Eurer Gefährtin die Kehle durch!“ Kunene Tapam- Wah streckt den Arm aus, um Istima in den Würgegriff zu nehmen: eine Geisel und dann vielleicht... In schneller Folge ertönen von hoch oben krachende Schläge. Ohrenbetäubender Lärm, Bersten, Splittern. Stimmen, hastige Schritte... Aus dem Augenwinkel hat die Kriegerstochter des Dolches Blitzen erhascht. Mit einem ansatzlos aus dem Stand ausgeführten, hohen, wirklich hohen! Sprung ist sie dem hinterhältigen Angriff zuvorgekommen, wirbelt, der Derenschwere ledig, wie ein Taifun und dann schießt blitzartig die Ferse vor. Unter dem mörderischer Hruruzat- Tritt fällt der Gegner wie ein morscher Baum.
Da betritt die Felsenhalle ein hochgewachsener Mann – im wortwörtlichen Sinne bis an die Zähne bewaffnet, denn das Hackmesser wird vom Gebiß gefaßt. Mit raumgreifenden Sätzen, die Kamaluq zur Ehre gereichten, stürmt der Lange die Treppe hinunter - zahlreiche Krieger und Kriegerinnen im Gefolge. „Tochter, meine Tochter!“ Das Hackmesser, nicht mehr festgehalten, fällt klappernd zu Boden.
„Abba !“ ( mohisch: Papa ) Istima strahlt. „Lieber Abba, ich dachte schon... “ beginnt sie ohne nachzudenken, läßt aber den Satz, der einen Mangel an Vertrauen zum Ausdruck bringt - oder zumindest so verstanden werden könnte, dann doch lieber unvollendet.
Nunmehr gemäßigten Schrittes betritt der berühmte Haya Tepe Huka die Bühne. „Ich sehe,“ äußert er, die Erleichterung hinter einem verschmitzten Grinsen verbergend, „ich komme zu spät. Alles scheint erledigt.“
„Ja, Abba.“ bestätigt die Tochter. „Ende gut, alles gut.“ Nun, da die Gefahr überstanden ist, verflacht rasch die körperliche und geistige Anspannung... und mit der Heftigkeit einer aus scheinbar erkalteter Asche plötzlich auflodernden Glut schießen sie aus den Randgebieten des Bewußtseins überfallartig ein: die Folgeerscheinungen der Stockschläge, bislang abgedrängt und zu Unrecht überstanden geglaubt. Dem überraschten Mädchen – das zu guter Letzt doch noch zusammenzuckt - verschlägt es den Atem. Bei allen... ! Das Hinterteil, es steht schiergar in Flammen, als niederhöllisch brennende Spur macht sich jeder einzelne der zwölf administrierten Streiche bemerkbar. Keifender Caïman, wie ungelegen! Warum ausgerechnet jetzt? Eigenmächtig krampfende Muskelgruppen verzerren die Gesichtszüge zu einem Ausdruck, der Schmerzen nicht mehr verheimlicht, sondern offen preisgibt - für jeden, der hinzuschauen beliebt...
Ein peinlicher Anblick, den es dem Vater unbedingt zu ersparen gilt: Ablenkung tut not - die Tochter wischt eine einzelne Haarsträne aus der Stirn, senkt hastig den Blick, zwingt sich zu einem lässigen Schritt und spuckt neben dem reglos darniederliegenden Körper des gefallenen Schamanen aus. „Übrigens, Abba, dieses Bärchen - es hat es mit der Angst zu tun bekommen und einfach Reißaus genommen: Husch zurück ins Körbchen...“ Mit einem erzwungenen Lachen Zeit gewinnen, die Fassung wiedererlangen. „Aber auch sonst ist es – wie soll ich das ausdrücken - zu einer Reihe, mm, nicht vorhersehbarer Entwicklungen gekommen. Ja, wirklich: in keiner Weise vorhersehbare Entwicklungen.“ Ungewohnt viele Worte, der Vater verhehlt seine Verwunderung nicht und schaut ein wenig befremdet drein. Lächelnd (und insgeheim aufatmend) hebt indes die Tochter den Kopf – glücklich überstanden der befristete Augenblick der Schwäche. Das Anlitz bringt, wohlgeordnet, eine den Umständen angemessene, freundliche Ehrfurcht zum Ausdruck. „Vielfältige Überraschungen, Abba, wie sie sich wohl keiner von uns hätte träumen lassen... im bösen wie im guten Sinne. Kurz gesagt:“ sucht Istima jetzt ihre ebenso langatmige wie inhaltsarme Aussage auf den Punkt zu bringen. „Es ist alles ganz anders gekommen, als ich mir das in meinen Plänen vorgestellt hatte.“
„Nun, Kind - sei so gut und spann mich nicht auf die Folter. Komm schon zur Sache.“
„Ja, Abba.“ Folgsam nimmt die Tochter des Vaters milden Tadel zur Kenntnis. Sie sondert mit einer Handbewegung aus der Masse der Novizen erst die hemmungslos schluchzende Baca aus und dann Tokahe, bevor der sich scheu in einer Ecke verkriechen kann. „Mitten unter uns leben zwei Helden.“
ENDE