Jesabelis
Nachruf:
Jesabelis de Sylphur- Mazzarano
Bewahrerin von Wind und Wogen
Rahjoman da Pinxi: Bewahrerin Jesabelis, Altersbild
Während der congregatio des brabaker Klerus in Ranak verstarb
überraschend, wenn auch nicht ganz unerwartet, die Bewahrerin
von Wind und Wogen Jesabelis de Sylphur- Mazzarano. Leistung und
Leben dieser bedeutenden EFFerd- Geweihten würdigt der folgende
Nachruf.
Kindheit
Die Zukunft einer EFFerd- Priesterin wurde Jesabelis wahrlich nicht
in die Wiege gelegt, erblickt das Mädchen Deres Licht doch
fernab des Meeres... in Narranoia, mitten in der Binnenland- Provinz
Sijak, und zwar im Jahre 975 n. BF. als Tochter Borians de Sylphur-
Mazzarano, Vater und Amtsvorgänger des aktuell regierenden
conde de Sijak sowie der Cankuna Yako - einer Adligen aus dem Stamme
der Miniwatu. Nicht einmal ansatzweise verfügt das condário
Sijak über Kontakt zu den Küsten des Ozeans, liegt auch
nicht an der Süßwasser- Ader der Monarchie, dem Mysob
und weist lediglich einige unbedeutende Tümpel und Bächlein
auf.
Spielt die Kirche des Alten Gottes im Königreich Brabak eine durchaus als präponderant zu bezeichnende Rolle, so ist dies aus leicht nachvollziehbaren Gründen im trockenen condário Sijak nicht der Fall. Volk und Herrschaft genossen damals den seelsorgerischen Beistand vor allem des BORon- Kultes (puniner Liturgie) , zu dem man sich allgemein bekennt und den conde Borian stets nach Kräften unterstützt. Nicht nur in religiöser, sondern auch in profaner Hinsicht zitiert man conde Borian de Sylphur- Mazzarano auch heute noch als Musterbeispiel des traditionsbewußten Sijakers, gelten doch im condário Fleiß und Pflichterfüllung neben Sparsamkeit und Bescheidenheit als die vordringlich zu erstrebenden Tugenden... und altobennato Borian fordert selbige unnachggiebig von allen Mitmenschen – in besonderem Maße natürlich von den eigenen Kindern und in höchst überzogenem Maße von der erstgeborenen Tochter, comtessa Jesabelis, der designierten Erbin des narranoier Grafenthrones. Dass comtessa Jesabelis so etwas wie eine glückliche Jugendzeit genießt, lässt sich beim besten Willen nicht behaupten. Stimmungsschwankungen, weder zu beherrschen noch zu unterdrücken, quälen das Kind, sobald es laufen kann: Gelegentlich – allzu selten - bricht aber auch ein überschäumend heiteres Wesen hervor... vom Vater als ungehörig und anmaßend verurteilt. Meist jedoch raubt bodenlose Trauer dem Mädchen alle Kraft: Die Lethargie lässt jegliche Initiative im Ansatz scheitern: In abysmaler Hoffnungslosigkeit scheint dann ganz Dere zu versinken. Jesabelis – an solch grauen Tagen außerstande, körperliche Arbeit zu verrrichten oder einer anspruchsvollen geistigen Betätigung nachzugehen - brütet dumpf vor sich hin... was bei conde Borian auf vollkommenes Unverständnis stößt und tiefe Empörung hervorruft. Abweichung von der üblichen Norm – das versteht der Sijaker als unziemlich sowie als Verstoß gegen die guten Sitten. Des Kindes Verstimmung gilt dem Vater als Faulheit und Drückebergerei – als Ungezogenheit, die es mit Hilfe disziplinarischer Maßnahmen rigoros zu ahnden gilt. Obwohl weder Androhung noch Implementierung von Strafen jemals auch nur den Hauch einer Leistungssteigerung bewirken, hält altobennato Borian doch starrköpfig an seinen pädagogischen Grundsätzen fest und tritt gegenüber Jesabelis, die selbst am heftigsten unter den eigenen Launen leidet, unfehl- und unnahbar als Herr und Meister - ja, nahezu als rächende Gottheit auf. Dem kleinen Mädchen einfühlsam oder gar mit Verständnis zu begegnen, diese einfache Alternative sprengt vollkommen das gräfliche Vorstellungsvermögens und wurde wohl niemals ernsthaft in Erwägung gezogen. Sich gegen den Patriarch durchzusetzen und das Los des Kindes zu erleichtern, gelingt der weichherzigen Mutter nicht.
Ein wenig bessert sich immerhin die Lage der mittlerweile Fünfjährigen, als Bruder Saldar geboren wird. Mit dem männlichen Nachfahren weiß conde Borian geschickter umzugehen als mit einer Tochter. Der Sohn wiederum müht sich mit einer an Obsession grenzenden Verbissenheit, sein Verhalten nach den väterlicherseits gepriesenen Maximen auszurichten. Der erzieherische Druck auf die comtessa lässt ein wenig nach, aber das Verhältnis zum Vater bleibt gespannt. Nur wenig auszurichten vermag da bei allem guten Willen der jüngere Bruder, der – ungeachtet der unverbrüchlichen Treue, die er dem Vater entgegenbringt - der von ganzem Herzen verehrten älteren Schwester bald unter die Arme zu greifen trachtet.
Jugend
Eine rahjagefällige Affäre, die die fünfzehnjährige
Jesabelis mit einer auf der Durchreise befindlichen Geweihten der
schönen Gottheit eingeht, führt zum endgültigen Bruch.
Vor dem conde, der sich in rasender Wut und bitterster Enttäuschung
zu maßlosen Drohungen jenseits aller Vernunft hinreißen
lässt, nimmt die Tochter Reißaus und taucht mangels eines
besser geeigneten Zufluchtsortes in dem nahe Narranoia an heilkräftigen
Quellen gelegenen Kloster der heiligen Elida von Salza unter –
damals eine völlig unbedeutende Außenstelle, bestehend
aus einem baufälligen Gemäuer, in dem lediglich ein einziger
greiser Geweihte namens Fortior Aguaferens ein beschauliches Eremitenleben
führt.
Mit der Beschaulichkeit freilich ist es nun vorbei, denn dieser Fortior Aguaferens ist von EFFerd dazu ausersehen, in das Leben der comtessa auf entscheidende Weise einzugreifen. Als mutiger Diener der Gottheit fasst er den Entschluss, die völlig verzweifelte Jugendliche vor der Rachsucht und den Nachstellungen des nicht weniger desperaten Erzeugers zu schützen, weigert sich standhaft, das Mädchen der väterlichen Gewalt auszuliefern und erreicht schließlich, dass der padrón des Hauses Mazzarano der heiligen Kirche des Launischen schriftlich versichert, jetzt und in aller Zukunft auf Strafmaßnahmen jedweder Art und auch auf deren Androhung zu verzichten. Im Gegenzug allerdings sieht sich die Tochter genötigt, vor Zeugen ihre Verfehlungen offiziell zu bekennen, eine entsprechende schriftliche Erklärung zu unterschreiben und zugunsten comte Saldars auf die Erbfolge zu verzichten. Der verbitterte Vater verbietet überdies der Erstgeborenen, jemals wieder einen Fuß über die Türschwelle des narranoier castello zu setzen...
Damit ist Jesabelis Weg vorgezeichnet: Sie tritt der Kirche des Alten Gottes bei. Man hält es für angebracht, die Jugendliche aus dem sijaker Dunstkreis zu entfernen und bringt sie in der capitale unter - in der hoffnungsfrohen Erwartung, daß die neue Umgebung einen beruhigenden Einfluss auf das aufgewühlte Gemüt ausüben möge. Der fromme Wunsch indes geht nicht in Erfüllung: Im Gegenteil, die Intensität der Stimmungsschwankungen, unter denen das Mädchen leidet, nimmt sogar dramatisch zu, geht über das EFFerd- gefällige Maß weit hinaus und bereitet der Betroffenen, aber auch deren Erziehern manch schlaflose Nacht. Eines Morgens findet man Jesabelis neben der Hängematte auf dem Boden des Novizen- Dormitoriums liegend, ohnmächtig und blassgesichtig. Eine blutverkrustete Schnittwunde, auf der Beugeseite des Handgelenks entdeckt, weckt prompt den Verdacht, hier sei der Versuch eines Suizids unternommen worden. Obwohl das Mädchen, das das Bewusstsein bald wiedererlangt, jegliche diesbezügliche Intention aufs Entschiedenste abstreitet, bemüht man eines Noioniten Dienste. Der seelenheilkundige Geweihte diagnostiziert eine „hypomanische Variante“ und empfiehlt Ablenkung, Ruhe und leichte Kost. Vor allem aber seien Überforderung und seelische Anspannung zu vermeiden.
Nun, etwas anders als leichte Kost wird im Tempel des Launischen ohnehin nicht geboten; seelische Anspannung hingegen generiert die Novizin selbst in generösen Mengen: Kaum genesen von dem Schwächeanfall, der die ganze Schule in Aufruhr versetzt hat, widmet sie sich den Schulbüchern - Tag und Nacht mit einem Eifer, der selbst die Lehrer bedenklich stimmt... um, wie Jesabelis sagt, das zehrende Heimweh nach den weitläufigen sijaker Steppen zu betäuben. Dass die Jugendliche Beistand benötigt, springt auch dem nicht- Fachmann ins Auge. Wie aber, fragen sich einigermaßen ratlos die Erzieher der EFFerd- Schule, wie bloß soll man dem armen Kind helfen? Dass die Verhältnisse sich schließlich zum Besseren wenden, verdankt man dem guten und gottesfürchtigen Entore Prisobimo, seines Zeichens capitán zur See, Heimathafen: Brabak...
Der capitán bemerkt im EFFerd- Tempel die neue Novizin, die den gesamten Gottesdienst gleichsam versteinert in einem dunklen Winkel hinter einer Säule neben der Hauptpforte verharrt. Beim Hinausgehen richtet Prisobimo einige freundliche Worte an die Unbekannte, die jedoch borongefällig still bleibt, als unterliege sie einem Schweigegelübde... es hingegen toleriert, dass sie bei der Hand genommen und an Bord des flotten Zweimasters „Adaque“ geführt wird. „Leinen los!“ befiehlt frohgemut der junge capitán, lässt den Anker lichten und die Segel hissen... und ehe der unfreiwillige Fahrgast begreift, was geschieht, hat die „Adaque“ den Hafen verlassen und befindet sich auf hoher See. Jesabelis denkt an den Handstreich einer Piratenbande, vermutet einen Entführungsversuch und erschrickt... aber nur ein wenig. Eigentlich ist ja alles gleich. „Was soll’s.“ denkt sie schicksalsergeben. „Erst aus Elternhaus und Heimat verbannt, werde ich jetzt auch noch dem schützenden Schoße der Kirche entrissen...“ Selbstmitleid überflutet sie wie eine aus tiefsten Abgründen hervorbrechende Grundwelle. „Wenn ich hier ertrinke, wird - mit Ausnahme des kleinen Saldar vielleicht - keiner eine Träne um mich vergießen...“ Heiße Tränen vergießt die junge Frau jetzt allerdings selbst.
Dann wird sie - deren Erfahrungen mit dem feuchten Element sich bis dato auf blasse Theorie sowie eine bescheidene Fährfahrt zwecks Querung des Mysobs beschränken - der ungeheuren Wassermassen plötzlich gewahr. Der graue Ozean, der das mit einem Male zerbrechlich wirkende Schiff auf allen Seiten umgibt, der reicht ja ins Unendliche! Der Sijakerin verschlägt das grenzenlose Wogen und Wallen den Atem; überwältigt vom Gott des Wassers und der Lüfte sperrt sie Augen und Mund auf... Dann freilich schlägt die Seekrankheit gnadenlos zu. Stunde um Stunde hängt das Mädchen würgend über der Reling, mehr tot als lebendig. Capitán Prisobimo, unerschütterlich der Überzeugung, daß göttliches Walten am Ende obsiegen wird, verweist mit missionarischer Begeisterung auf die Schönheit der Weiten, auf die schaumgekrönten Wellen, auf die feinsprühende Gischt, den würzigen Salzgeruch des Meeres... und induziert damit natürlich immer aufs neue Brechattacken... die dann allerdings völlig unerwartet und ausgerechnet inmitten eines plötzlich aufbrausenden Sturmes sistieren. Die ungesunde Blässe weicht aus den Wangen und aus dem Antlitz die Bedrücktheit. Jesabelis lässt sich den Wind ordentlich um die Ohren blasen, streckt das Gesicht dem peitschenden Regen entgegen... und stößt unvermittelt einen weit hallenden Jubelschrei aus. Warum hat man ihr in Sijak bloß das Wunder der Ozeane verheimlicht? Welch Genuss, welch Wonne, ja: welch sinnliche Lust! Die Mazzaranerin breitet die Arme weit aus und entblößt schließlich nach einem scheuen Seitenblick die jugendlich- flach gewölbte Brust, um den Leib der Liebkosung den EFFerdschen Elementen voll und ganz auszusetzen. Die folgende Nacht verbringt die in Extase schwelgende Novizin in der Koje an der Seite des capitán.
Was die Geweihtenschaft trotz guten Willens und vielerlei Überlegungen nicht zu erreichen vermochte, der im naiven Vertrauen auf die stürmische Gottheit kurz entschlossen handelnde capitán hat es bewerkstelligt: Die Emotionen des Mädchens pendeln sich ein, die Schwankungen des Gemütszustandes verlieren an Heftigkeit, das quälende Gefühl von Ohnmacht und Sinnlosigkeit ersetzen milde melancholische Anwandlungen. Die Novizin schreitet voran: auf dem segensreichen Weg zu EFFerd und zur Genesung sowie zu ihrem eigenen Ich. Wie sie selbst verwundert feststellt, treten jene Charaktereigenschaften, die vom Vater seinerzeit mit kaum zu ertragender Unnachgiebigkeit und Härte gefordert wurden, im Schoße der Kirche nach und nach und wie von selbst in den Vordergrund: Sparsamkeit, Pflichtbewußtsein, Bescheidenheit und Fleiß zeichnen in zunehmendem Maße die junge Frau aus. Man schätzt deren zugleich ruhige, wie auch überlegte und entschlossene Art, Probleme zu identifizieren, zu analysieren und zu lösen. Im zarten Alter von nur sechzehn Jahren wird 991 n. BF. Jesabelis zur Gefährtin von Wind und Wogen geweiht.
Die Gefährtin
Die Priesterin, die – herangereift - ein gewisses Verständnis
für des Vaters Strenge aufzubringen in der Lage ist, beschließt,
eine Reise nach Sijak zu unternehmen, um den Versuch einer Versöhnung
zu wagen... leider zu spät, denn als Jesabelis im Jahre 1000
n. BF. in Narranoia eintrifft, erfährt sie, dass conde Borian
de Sijak einem heimtückischen Mordanschlag unlängst zum
Opfer gefallen ist. Die Tochter trifft immerhin rechtzeitig ein,
um in den Tagen der Trauer dem jüngerer Bruder Saldar beizustehen.
Kurze Zeit später tritt dieser – wie ja vom Vater gewünscht
sowie mit der ausdrücklichen Zustimmung der älteren Schwester
– die Nachfolge des Verschiedenen an.
Der Inthronisierungsfeier zwingt sich Jesabelis beizuwohnen, verlässt danach aber fluchtartig die Heimat, um in die capitale zurückzukehren und sich dort umgehend bis über beide Ohren in Arbeit zu vergraben. Die Gefährtin von Wind und Wogen kümmert sich um alles und um jeden: Wartung der Schiffe, Spendenaufkommen, Gedeihen der Fischschwärme, fortschritt klerikaler Bauvorhaben, Instandhaltung der vielen Tempel, Zustand der Fangflotten, Inspektionsreisen in entlegene Dörfer und Landstriche, Wartung der Schreine, Delphin- Orden, Personalaufkommen und Krankenstand, EFFerd- Brüder, Missionierung und Algenpest... Die Priesterin koordiniert, synchronisiert, stimmt ab, erteilt Ratschläge, nimmt gelehrt Stellung... Seelsorge und Budget- Entwurf, die speziellen Probleme verarmter debitários in der Großstadt Brabak sowie die isolierter Binnenland- Gemeinden, die Beziehung zu klerikalen Würdenträgern anderer zwölfgöttlicher Glaubensgemeinschaften und zur brabaker Grandenschaft... Alle Pläne und Nöte kann man Schwester Jesabelis anvertrauen, niemals kommt man ungelegen und nichts ist ihr fremd. Es heißt, sie wisse auf jede noch so dumme Frage eine blitzgescheite Antwort.
Die Geweihten zollen zwar dem Arbeitseifer der Sijakerin Respekt und bewundern auch die Kompetenz, die die junge Gefährtin von Wind und Wogen immer aufs Neue unter Beweis stellt. Mit der zunehmenden Introvertiertheit aber – einem Charakterzug, den man just bei EFFerd- Geweihten kaum erwartet – kommen die collegae nur mühsam zurecht... was indes den Aufstieg der Mazzaranerin vorerst nicht bremst: Schlicht unentbehrlich ist sie geworden - mit ihrer enormen Ansammlung an Fachwissen. Emmeran Tralloper, der Meister der Brandung Südmeer, zollt höchstselbst Lob und spricht öffentlich von seiner „wertvollsten Mitarbeiterin“ , die er folgerichtig im Jahre 1005 n. BF. zur Bewahrerin von Wind und Wogen erhebt und ihr die Obhut über das Einsiedler- Kloster im sijaker Bad Elida anvertraut.
So vortrefflich Jesabelis im Hintergrund arbeitet, so kläglich fallen Auftritte vor Laienpublikum und Predigten ans gemeine Volk aus: Allein auf der Bühne zu stehen, ist Jesabelis Sache nicht. Das Zelebrieren von Liturgien vor den Augen einer gaffenden Menge empfindet die Bewahrerin als peinlich. Die Predigten weisen den papierenen Charme einer gründlich recherchierten Haushaltsabrechnung auf. Der früh Ergrauenden fehlt es an Ausstrahlung. Wenn die erfolgreiche Verwalterin und geniale Organisatorin die Gemeinde zu Spenden aufruft, dann kann man aus dem Inhalt des Klingelbeutels gerade mal das Abendessen der Mitarbeiter zahlen.
Die Mysob- Häretiker
Ganz anders eine blutjunge Geweihte, die jetzt in zunehmendem Maße
von sich reden macht... Jolamandela, der Grandenfamiglia der Geraucis
entstammend: Scheinbar mühelos gelingt es der bildhübschen
und charismatischen Frau, die Gläubigen zum sperrangelweiten
Öffnen der Börsen zu bewegen. Sie entflammt der Gemeinde
Herzen... und nicht nur diese, sondern offenbar auch das des Meisters
der Brandung. Der ernennt 1012 n. BF. die Novizin zur persönlichen
Referentin – übrigens auf Anraten der Bewahrerin Jesabelis,
der Konkurrenzdenken fremd ist und die damals die jüngere Geweihte
wohl noch als potentielle Verbündete und nicht als gefährliche
Gegnerin erachtet.
Spätestens im Krisenjahr 1016 n. BF. indes sollte sich diese wohlwollende Einschätzung ändern... Das Misstrauen der Mutterkirche entzündet sich damals an der ungewöhnlich intensiven Verehrung, die eine Gruppe von Hinterwäldlern im sumpfigen marassou dem altehrwürdigen Strom des Mysob entgegenbringt. Die Mazzaranerin erkennt weder eine Gefahr für die Einheit des Glaubens noch Handlungsbedarf. Die soeben zur Gefährtin ernannte Geweihte Jolamandela hingegen begibt sich entschlossen in offene Opposition zur Bewahrerin von Wind und Wogen, verdammt eine gütliche Einigung als Abweichlertum und befürwortet hartes Durchgreifen mit Waffengewalt. Der Streit eskaliert rasch, vor versammelter Geweihtenschaft findet ein Generaldebatte statt – schwerwiegender taktischer Fehler, retrospektiv und aus dem Blickwinkel der Bewahrerin gesehen: In Anbetracht ihres unterentwickelten rethorischen Talents einerseits sowie andererseits des außerordentlich hohen Charismas der Konkurrentin hätte sich die Mazzaranerin auf eine solche Art der Auseinandersetzung keinesfalls einlassen dürfen. Das Ergebnis fällt entsprechend aus: Mit inbrünstiger Begeisterung beschließt die EFFerd- Kirche einen Kreuzzug gegen die als „Mysob- Häretiker“ gebrandmarkten Abweichler.
Emmeran Tralloper signalisiert Zustimmung, Jolamandela zieht in den Kampf... und obsiegt, von den Delphin- Rittern wirksam unterstützt, mit Leichtigkeit gegen die nahezu unbewaffnet antretenden Hinterwäldler. Gegen die im Triumph Zurückkehrende weiß die Mazzaranerin kein Mittel. Zug um Zug fallen die wichtigen Stellen der Kirchenhierarchie an die Anhänger der Geraucidin, die schließlich 1022 n. BF. offiziell zur Sprecherin der Kirche ernannt wird. Mit der Zuständigkeit für die brabaker Binnengewässer speist man die bitter enttäuschte Jesabelis ab.
Rückkehr nach Sijak
Diese entschließt sich, in heimatliche Sijak zurückzukehren
und besucht dort jenes bad elidaner Kloster, in dem man dem Mädchen
seinerzeit Schutz und Trost geboten hat. Der greise Geweihte Fortior
Aguaferens freilich ist längst schon in EFFerds ewiges Meer
eingegangen – ein Verlust, der die Mazzaranerin zutiefst schmerzt.
Dass das Klostergebäude leer sowie vor dem Zerfall steht, ficht sie dagegen nicht an - im Gegenteil: Die selbst gestellte Aufgabe, das binnenländische Bad Elida in ein monarchieweit bekanntes Zentrum der EFFerd- Verehrung zu verwandeln, weckt die Lebensgeister und beflügelt den Ehrgeiz. In Sijak hat im übrigen nach einem chaotischen Intermezzo conde Saldar das Heft entschlossen in die Hand genommen und arbeitet unermüdlich am wirtschaftlichen Aufschwung im condário. Herzlich heißt altobennáto Saldar die ältere Schwester willkommen und erklärt sich bereit, ihr jedwede Unterstützung zu gewähren. Die vertrauensvolle und intensive Kooperation der mazzaraner Geschwister bewirkt, dass das Kloster ebenso zügig wie großzügig erneuert und ausgebaut wird. Um die Klostergebäude und die Heilquellen herum entsteht eine kleine, jedoch prosperierende Ortschaft. Diese lebt – ungewöhnlich für Brabaker Verhältnisse – von Pilgern, die im mineralhaltigen Wasser Bad Elidas Heilung suchen sowie vom Verkauf besagten Heilwassers an einen breiten Kreis von Kunden, die vor allem in der capitale beheimatet sind.
Die mittlerweile über Fünfzigjährige hat die Hoffnung auf eine Führungsrolle in der brabaker Kirche weitgehend ad acta gelegt und eine Weile sieht es in der Tat so aus, als sei Bad Elida zum Alterssitz auserkoren. An der congregatio des brabaker Klerus im Jahre 1025 n. BF nimmt die Bewahrerin von Wind und Wogen nicht teil. Indes, der enorme Fundus des im Laufe der Jahre und Jahrzehnte angesammelten Wissens sichert Jesabelis eine Rolle als graue Eminenz innerhalb der Kirche und damit einen zwar indirekten, jedoch nicht zu unterschätzenden Einfluss, den geltend zu machen sie bei Gelegenheit nicht zögert. Als enge Vertraute der alternden Mazzaranerin firmiert die junge EFFerdiane Truckenbrodt, eine bei der brabaker Gemeinde äußerst beliebte Gefährtin von Wind und Wogen, die nach Erlangung der EFFerd- Perle in Stadt und Land als hoch talentierte Mystikerin gilt.
H’Rabaal und Ranak
Ein vertrauliches Treffen, das in Bad Elida die Sprecherin der EFFerd-
Kirche Jolamandela Geraucis, die mazzaraner Geschwister sowie des
conde de Sijak ältesten Sohn - vicomte Tirato, dem man ein
rahjagefälliges Verhältnis zur Geraucidin nachsagt - in
einer Gesprächsrunde eint , ebnet Jesabelis die Rückkehr
ins Zentrum klerikaler Macht: Die Rivalität beenden Sprecherin
und Bewahrerin zwar nicht, schließen jedoch ein Art Burgfrieden
und grenzen in einer Übereinkunft die jeweiligen Interessensgebiete
und Einflussbereiche voneinander ab. Die Sprecherin behält
die Meeresküsten und unterstützt im Gegenzug Jesabelis,
die – trotz einer zehrenden Krankheit, die die Leistungsfähigkeit
zunehmend einschränkt – nun im Binnenbereich einen bunten
Strauß an Aktivitäten entfacht... bekannt geworden unter
dem griffigen Motto „Binnenland – Missionierung“
. Höhepunkt: Eine Reise der versammelten Spitze der EFFerd-
Kirche gen H’Rabaal. Dortselbst erreicht man wenig Konkretes,
doch verzagt die Bewahrerin nicht und inszeniert wenige Monde später
quasi im Alleingang die zweite congregatio des Brabaker Klerus.
Die erste congregatio 1025 n BF. endete ohne Ergebnisse und in Zwietracht,
was den Geweihten seinerzeit Hohn und Spott von allen Seiten einbrachte.
Dieser Reinfall darf sich nicht wiederholen: Dem Willen der Bewahrerin
zufolge soll der Klerus dem gesamten Königreich vor Augen führen,
dass die Kirchen nicht nur willens, sondern auch in der Lage sind,
am Kap Einfluss auszuüben und Verantwortung zu übernehmen.
Als Versammlungsort wählt Jesabelis bewusst das historische
Kloster Ranak, das als Heimathafen der legendären „Korisande“
Brabaks Aufschwung versinnbildlicht. Bis auf wenige Ausnahmen leisten
die Vertreter der zwölfgöttlichen Kirchen dem Aufruf Folge,
ebenso die erstmals geladenen Emissäre der echsischen Hranga-
Kultes. Die weltliche Macht allerdings repräsentiert allein
der conde de Sijak, Bruder der Bewahrerin. Aus ungeklärten
Gründen verweigert sich die Grandenschaft komplett. Ungeachtet
dessen ist aber Jesabels congregatio keineswegs der Lächerlichkeit
anheimgefallen. Der Klerus hat Flagge gezeigt und was die Klärung
des Verhältnisses der Kirchen zu den magi negri der Akademie
angeht, wurde bedeutsame Grundsatzarbeit geleistet. Gleichwohl verfehlte
man das ehrgeizige Ziel der Bewahrerin: die Institutionalisierung
des zweiten Standes.
Müßig, nun darüber zu spekulieren, wie das Treffen wohl ausgegangen wäre, hätte nicht die Initiatorin gleich nach dem ersten Sitzungstag das Zeitliche gesegnet. Es genügt festzustellen, dass ein erfülltes Leben genau so zu Ende gegangen ist, wie es geführt wurde: Jesabelis hat in Ranak wieder einmal Raubbau an den eigenen Kräften betrieben und ist vom launischen Gott weiterer Aufgaben entbunden und heimgerufen worden. Uns aber bleibt die Trauer um sowie die Erinnerung an eine herausragende Geweihte, die möglicherweise dereinst von den Historikern als eine der Großen in der Geschichte des Königreiches gefeiert werden wird.
Abbot Suger und Ernesto Emingouai *
* Abbot Suger und Ernesto Emingouai arbeiten als freie Redakteure
in der capitale sowie in Narranoia. Senhor Sugers spezielles Interesse
gilt den Brabaker Kirchen, während senhor Emingouai sich vorwiegend
um die Geschehnisse in und um Sijak kümmert. Beide schreiben
auch für die brabaker Zeitschrift WaKap.